Punk(s) in der Bundesrepublik Deutschland – Anatomie einer Bewegung, 1976-1995, Karl Siebengartner
Transcript Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, www.transcript-verlag.de
Der Autor ist Historiker mit den Schwerpunkten Kulturgeschichte, Jugendkultur und Pop-Phänomenen und hier handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung seiner Dissertation. Und er hat es sich nicht leicht gemacht mit diesem Mammutprojekt. Immerhin ist Siebengartner 1988 geboren, hat also von dem Zeitraum den er erforscht überhaupt nichts mitbekommen können – gut, das ist in der Wissenschaft nicht unüblich. Er hat auf jeden Fall sehr gründlich geforscht und man merkt auch das er sich für den Forschungsinhalt, also Punk, interessiert. Es ist für mich immer schwierig derartige Arbeiten zu lesen, weil es halt meist sehr akademisch ist – das ist hier aber nicht so schlimm.
Zum einen ist es nicht überakademisiert und zum anderen war das Trust im Forschungszeitraum eben schon aktiv und somit steht hier auch viel über „meine“ Zeit und die vieler Weggefährten. Das ist historisch betrachtet natürlich ein schöner Rückblick ins letzte Jahrtausend und immer wieder auch für einen Lacher gut (Stichwort: „zweifelhafter Ruf“) und man erfährt natürlich auch vieles was man damals nicht mitbekommen hat. So zum Beispiel, für meinen Geschmack, viel zu viel über die Chaos-Tage in Hannover, deutlich interessanter sind dann schon die Anfänge von Punk in Deutschland, ab 1977 – auch richtig wie die Entwicklung der Neuen Deutschen Welle stattgefunden hat. Oder Clara Drechsler vom Spex stellt bereits Anfang der Achtziger fest, bei der ersten Dead Kennedys Tour in Deutschland, das deren Sänger Jello Biafra ein totaler Medienprofi ist, schon damals. Es gibt aber auch viele politische Betrachtungen und Untersuchen, war Punk ein Protest und eine Revolte und welche Bedrohung stellten Punks tatsächlich dar. Das auftauchen von Hardcore und seine Separierung vom klassischen Punk – eine endlose Distinktion der Jugendlichen, trotzdem bleibt es immer noch Punk. Auch als das Musikfernsehen auftaucht und die Medienlandschaft immer vielfältiger wird. Der transnationale Charakter vom Punk in Deutschland wird auch beschrieben, Konzerte, privates Leben und die Öffentlichkeit und deren Umgang mit Punk. Ihr seht schon, das Anfangs erwähnte Mammutprojekt ist vielleicht sogar noch größer, denn der Autor nimmt sich wirklich alles vor. Auch die Problematiken (u.a. Sexismus) werden nicht ausgelassen. Was mich hier ein wenig wundert, obwohl die aufgeklärten Fanzines Teil der Untersuchung sind, wird diese nicht anhand der dort verhandelten Inhalte untersucht. Oder anders gesagt, vieles von dem was Siebengartner, zurecht, an der Punkszene kritisiert hat zwar in Teilen tatsächlich so stattgefunden, aber das Trust hat schon sehr früh gegen diese unterschiedlichen Fehlverhalten Position bezogen – wofür es auch von vielen gehasst wurde. Hier hätte man deutlich mehr die Widersprüche zwischen den verschiedenen „Stämmen“ der Szene beleuchten können. Aber, das ist natürlich nur mir aufgefallen. Interessant wäre es auch mal zu erfahren wie viele Menschen diese Arbeit auch tatsächlich lesen, oder wird sie nur von anderen WissenschaftlerInnen für weitere wissenschaftliche Arbeit benutzt? Ist nicht rauszubekommen und eigentlich auch egal. Gute Arbeit welche Freude bereitet zu lesen, am Ende wird es dann ein wenig langatmig und auch nicht mehr so interessant, aber über die Länge den Spannungsbogen, noch dazu bei einer Dissertation, zu halten ist praktisch gar nicht möglich. Weil es so wissenschaftlich ist, kann man es nicht bedingungslos Empfehlen, aber auf jeden Fall mehr als zuraten – für alle die sich fürs Thema interessieren. 384 Seiten, Paperback, 39,00 Euro (dolf)
Isbn 978-3837675733
[Trust # 233 August 2025]
