Juli 29th, 2025

Die Evolution der Gewalt – Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte, Harald Meller, Kai Michel, Carel van Schaik

Posted in bücher by Dolf

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Menschheitsgeschichtlich gesehen ist es ja eigentlich ganz beruhigend das die Autoren zum Schluss kommen das Krieg nicht in unserer biologischen Natur liegt und Menschen 99% ihrer Existenz anscheinend ganz gut ohne Krieg auskamen. Dumm ist nur das 1% jetzt schon seit ca. 10.000 Jahren so kriegerisch läuft. Begonnen hat das Übel mehr oder weniger mit dem sesshaft werden der Menschen, das hat ein kulturelles Phänomen in Gang gesetzt das bis heute nicht gestoppt ist und nach wie vor ist es so, das immer nur sehr wenige vom Krieg profitieren und viele leiden. Die Autoren sind Historiker, Biologe und Archäologe, somit gibt es einen umfassenden Blick auf die Entwicklung der ganzen Misere.

Und sie fangen ganz vorne an, also wie wir Menschen wurden, wie das mit der Verwandtschaft zu Schimpansen und Bonobos ist und wie die sich so verhalten. Es beginnt also mit dem Leben der Jäger und Sammler vor vielen zehntausenden Jahren, Cold Cases in der Eiszeit werden untersucht und allerhand interessantes aus den unterschiedlichen Disziplinen wird hier zusammengefasst. Trotz des wissenschaftlichen Fundaments ist es sehr verständlich geschrieben. Im Prinzip wird das grundsätzliche Problem auf Seite 118 gut beschrieben: „Die Entdeckung des Wir kann als Meilenstein unserer Evolution betrachtet werden. Niemand konnte allein überleben, die Gruppe stand über allem. Sie tat ihrerseits alles, die Kooperation gegen Egoisten, Alphas und Trittbrettfahrer zu schützen. Kein Individuum darf über der Gemeinschaft stehen. Diese Überhöhung der Gruppe verstärkte die gruppeninterne Voreingenommenheit. Wir halten uns gerne für etwas Besseres als die anderen. Die Ethnografie kennt weltweit unzählige Beispiele von Gruppen, Stämmen, Ethnien, die sich selbst als »Menschen« oder »wahre Menschen« bezeichnen. Schon 1929 hat der Ethnologe Maurice R. Davie eine lange Liste an Beispielen vorgelegt: Untersucht man die Namen, die sich diese selbst geben, »so stellt man fest, dass die meisten von ihnen einfach >Menschen< bedeuten, was impliziert, dass >wir allein Menschen sind<, dass die anderen etwas anderes sind, vielleicht nicht definiert, aber keine wirklichen Menschen«. Die Konstruktion des Wir geht mit einer Abgrenzung nach außen einher, die Aufwertung der eigenen Gruppe mit der Abwertung der anderen. Das schlägt leicht in Freund-Feind-Denken um. Davie führt weiter aus: »Diese Tendenz von Gruppen, sich im Vergleich zu anderen zu erhöhen, ist keineswegs auf weniger entwickelte Völker beschränkt. Die Hebräer zum Beispiel teilten die gesamte Menschheit in sich und die Heiden ein; sie waren das >auserwählte Volk<. Die Griechen und Römer nannten die Außenseiter >Barbaren<. Das Wort Deutsch bedeutet ursprünglich >Volk<. Die Lappen bezeichnen sich selbst als >Menschen< oder >menschliche Wesen<. Die Araber betrachten sich selbst als die edelste Nation und alle anderen als mehr oder weniger barbarisch.« Und er zieht die Linie weiter bis in seine Gegenwart: »Jeder Staat sieht sich selbst als den Führer der Zivilisation, als den besten, freiesten und weisesten und alle anderen als minderwertig. Nationaler Stolz und Patriotismus können leicht zu Größenwahn, Hurrapatriotismus und arroganter Verachtung für die Außenseiter führen.« Davies Fazit: »Solange der Ethnozentrismus vorherrscht, wird der Frieden die Ausnahme und der Krieg die Regel sein. «“ Natürlich wird auch die Rolle der Religion, die oftmals mitverantwortlich für die Kriege ist, beleuchtet hier fand ich diesen Gedanken sehr interessant: „Das monotheistische Narrativ wurde aus dem Versuch der Selbstermächtigung heraus formuliert: aus einer Position der Schwäche und nicht der Stärke. Israel und Juda existierten nicht mehr, die Bibelautoren arbeiteten unter der Herrschaft fremder Mächte. Ihr Ziel war es zu verstehen, warum die Staaten Jahwes untergegangen waren; ihre Erklärung bestach durch Raffinesse: Sie verkauften den Untergang als ultimativen Beweis der überlegenen Macht Jahwes. Er hatte sich gewaltiger Reiche wie der Assyrer und der Babylonier bedient, um sein eigenes Volk zu bestrafen, da es ihm nicht immer treu gefolgt war. Damit wurde die eigene Niederlage in einen Triumph Gottes verwandelt, in dessen Händen die mächtigsten Herrscher zu bloßen Marionetten wurden. Die Bibelautoren machten sich daran, die eigene Geschichte nach diesem Prinzip umzuschreiben, das heißt, über weite Strecken neu zu erfinden. Sie Schufen Narrative, Rollenmuster die sich für viele Herrscher der Welt als attraktive Rollenmuster erweisen werden.“ Und weiter wird erklärt: „Angesichts des hier offenbarenden Gewaltpotentials ist es unabdingbar zu betonen: Wir haben es bei diesen Narrativen mit keiner Ideologie zu tun, die aus der Position despotischer Überlegenheit Bahn bricht. Das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die Opfer der großen Imperien ihrer Zeit waren, versuchen sich in einer Position der Defensive einen Reim darauf zu machen, warum sie immer wieder auf die schrecklichste Weise von fremden Mächten gepeinigt worden waren. In einem Akt der intellektuellen Selbstbehauptung erfinden sie ein geschichts- theologisches Narrativ, das nicht nur ihre Situation erklären, sondern auch Hoffnung spenden soll: Solange sie ihrem Gott nur treu genug folgen, wird der sie eines Tages belohnen, und sein Volk wird von allen fremden Tyrannen befreit in einer Welt des Friedens leben können.“ Und da die entsprechenden Gläubigen die echte Wahrheit nicht hören wollen geht es erst mal leider so wie gewohnt weiter. Auch interessant welche Rolle „Kriegsmaschine Staat“ spielt und wie die Autoren den Staat definieren beziehungsweise sehen – lest selbst. Am Ende fassen die Autoren es selbst nochmal gut zusammen: „Das ist die Bredouille, in der wir heute stecken. Ihr Ausgangspunkt liegt in den beschriebenen Prozessen des Sesshaftwerdens und der Erfindung der intensiven Landwirtschaft. Sie führten zu Überbevölkerung, unstillbarem Ressourcenhunger und Hyperkonsum, aber vor allem zu herrschaftsbasierten Gesellschaften, unter denen sich Staaten als die effektivsten Kriegsmaschinen erwiesen. Sie haben der Welt ein wahrhaft belastendes Erbe hinterlassen. Die Staaten und ihre Grenzen, die ungleiche Wohlstandsverteilung innerhalb und zwischen Gesellschaften, die ethnischen und religiösen Spannungen — all das sind Konsequenzen dieser Prozesse. Menschen schlagen sich heute weltweit mit Problemen herum, deren Wurzeln viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückreichen. Das lässt die Probleme unlösbar erscheinen —und produziert neue Gewalt.“ Auch wenn uns der Krieg und die Gewalt nicht in die Urgene geschrieben sind, da was seit Jahrtausenden passiert hat uns geprägt und wie es im Moment scheint, geht es – erst mal - immer so weiter. Obwohl die Menschheit in der Lage wäre ohne Krieg zu leben, immerhin theoretisch ist das in Zukunft möglich. Das Buch ist sehr gut gemacht und man kann es wirklich empfehlen – also tue ich das mit Nachdruck. 364 Seiten, Gebunden, 28,00 Euro (dolf) Isbn ‎ 978-3423284387 [Trust # 232 Juni 2025]

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