Juni 1st, 2007

TITANIC MAGAZIN (#120, 10-2006)

Posted in interview by jörg

“Dieser Hardcore oder wie das heisst – muss man dabei denn immer rumhüpfen, sich anrempeln und mit Bier bespucken oder kann man dazu auch schön sitzen bleiben, Latte Macchiato trinken und mit dem Fuss wippen?”

Interview mit Mark-Stefan Tietze, NRW Landtagskandidat von DIE PARTEI und TITANIC-REDAKTEUR

Einen von der Satire-Zeitschrift Titanic wollte ich immer mal befragen, weil ich die Zeitschrift eigentlich sehr witzig finde (aber manchmal dann eben auch zu teuer und zu schnell durch). Nachdem ich selber sogar einmal in der Titanic einen “Brief an die Leser” platzieren konnte, war dort meine Kontaktperson Mark-Stefan Tietze, fester Redakteur, und 2005 auch NRW Landtagskandidat der Titanic-Partei DIE PARTEI. Nach Anrufen in und E-Mails an die Titanic-Redaktion verabredete ich mich mit eben jenem zu einem Live-Interview in Frankfurt am Main an einem Donnerstag Mitte 2005, weil ich abends sowieso zu TRUST- Daniels DJ-Abend in die Kneipe “Gute Stute” wollte.

Nach fünf Fahrtbier von Leverkusen nach Frankfurt, einem Bier in der Redaktion in Frankfurt-Bockenheim (wo ich Stephan Rürup, den Bruder von der Freundin einer guten Freundin traf – also dann quasi seine Schwester -, die ich mal sehr nett fand bei einem schönem Bier-Kickerabend 2001 und der ich dann direkt am nächsten Tag eine unauffällige “Lass doch noch mal zum Kickern treffen”-Email schrieb, die leider unbeantwortet blieb, wohl auch aus dem Grund, weil sie gar nicht auf Männer steht) und dem Location-Wechsel zu der Kneipe Dr. Flotte und noch mehr Bier fand dann ein schönes Live-Interview statt. Ich kann sagen, dass ich nett mit einem von der Titanic gesoffen habe.

Der Abend in der Guten Stute war allerdings eine Katastrophe…”Haschte hier noch hier Bier hier äh bhagbg?” Aber andersherum wäre ja dann auch doof gewesen! Mir war es dann wieder ein Mal zu schwierig, die ganzen Interview-Original-Töne abzutippen. Freundlicherweise willigte Mark-Stefan Tietze ein, es per E-Mail nachzuholen, und nur ein knappes Jahr später ist es fertig. Es hat gedauert, bis dieses Interview zustande kam. Und es lag vollständig an mir. Scusi tanto und nun: Avanti diletanti!

***

Hi lieber Mark-Stefan Tietze, schön, dass du Zeit für ein Interview mit dem TRUST Fanzine hast. Ich habe verschiedene Fragen an dich: zu der Alltagsarbeit bei Titanic, deinem Weg dahin, zur Partei und zu Frankfurt.Am besten fangen wir mal mit einer extravaganten Einstiegsfrage an: Was war der schlechteste Witz, den du in letzter Zeit gehört hast?

Mark-Stefan: Ich lese und höre ja viele schlechte Witze und schon die guten kann ich mir kaum merken. Aber in der letzten SUPER-ILLU stand ein beispielhaft schlechter Leserwitz, den ich mir ausgeschnitten habe, und der geht so: “Empört ruft der Gast den Ober heran: `Im Brot sind ja Schrotkugeln!’ – `Na so was! Da muss doch schon wieder einer der Jäger die Flinte ins Korn geworfen haben.’” Empörend, oder? Das ist ein 1.000 Jahre alter Kalauer mit kilometerlangen Barthaaren, die schon lange ausgefallen, verschimmelt und vermodert sind, zudem schlecht und unbeholfen erzählt.

Wer seinen Lesern so was zumutet, also als SUPER-ILLU-Humorredakteur, der will sie gar nicht zum Lachen bringen, sondern ihre Humorfähigkeit unwiderruflich beschädigen. Noch schlimmer finde ich aber viele der Witze im Profi- und Fernsehhumor mit seinen Maschen, Klischees und sogenannten Standards, die immer nur den Mainstream und seine Vorurteile bedienen. Da geht`s dann bei Schwulen stets und ausschliesslich um Tuntentum und Analverkehr, bei Polen ums Autoklauen und bei Dicken um Ottfried Fischer.

Das ist so öde und frei von jeder überraschung, es ist ganz furchtbar, aber es hat natürlich auch eine bestimmte Funktion. Es markiert die Grenze zwischen Norm und Abweichung und soll die Leute in ihrer `Normalität’ bestätigen, damit sie strunzdumme, autoritätsfixierte und gegen Abweichungen aggressive Konsumenten bleiben, die sich selbst für rebellische, tabulose Individuen halten. “Herrlich politisch unkorrekt” nennt man das dann. Wenn mir Leute privat schlechte Witze erzählen oder, viel besser noch, blöde Kalauer reissen, nehme ich das natürlich nicht übel. Wenn man gern lacht, nimmt man hin, dass auf zehn misslingende Spässe nur ein guter kommt.

Es gehört ja ein bisschen Mut dazu, irgendwelche kruden Gedankenverbindungen oder auf den ersten Blick blöde Wortspiele in die Runde zu werfen, da ist ja ein gewisses Risiko bei. Der gerade leider verstorbene Robert Gernhardt hat mal gesagt, dass die Welt nicht eher erlöst werde, ehe nicht auch der letzte denkbare Witz gerissen worden ist. Von daher denke ich, dass jeder eigenständige oder halbwegs originelle Versuch, andere zum Lachen zu bringen, seine Berechtigung und seinen Eigenwert hat – und nebenbei natürlich einem guten Zweck dient.

Du warst ja der Landtags- bzw. Ministerpräsidentkandidat von DIE PARTEI – wie beurteilst du im Nachhinein die Idee der Parteigründung und euer Abschneiden bei der Bundestagswahl?

Mark-Stefan: Es war ein tolle Idee: Eine Ansammlung notorischer Faulpelze, Klugschwätzer und politisch zutiefst desinteressierter Menschen gründet von Frankfurt aus eine Partei, um Deutschland vor dem Ruin zu retten und seine Geschicke für die kommenden Jahrzehnte zu bestimmen. Mit unserem zentralen Programmpunkt, der endgültigen Teilung Deutschlands durch den Wiederaufbau der Mauer, hatten wir einen wunden Punkt im deutschen Selbstverständnis getroffen, und die enge Beziehung der PARTEI zu TITANIC hat ermöglicht, dass von unserer Seite aus eine Zeit lang ständig prima Nachrichten dazu produziert werden konnten.

Deshalb waren ja der Zuspruch der Menschen und die Resonanz in den Medien so gross. Was das jetzt genau gebracht hat, kann ich allerdings nicht sagen, das müssen eines Tages Historiker und Politikwissenschaftler beurteilen. Unser Ziel, die Alleinherrschaft Angela Merkels zu verhindern, haben wir ja erreicht, und dem Heft hat der Rummel auch gut getan. Ausserdem haben die beiden Wahlkämpfe mächtig Spass gemacht. Ich habe mit meinem Co-Ministerpräsidentenkandidaten Stephan Rürup viele nette PARTEI-Genossen kennen gelernt, schöne Parteitage erlebt, einige lehrreiche Fernsehinterviews absolviert und bin durchs ganze Land getingelt. Das war doch sehr lustig.

Es wäre natürlich noch toller gewesen, wenn wir jetzt tatsächlich in Nordrhein-Westfalen oder im Bund regieren würden. Immerhin haben wir diese ganze Bürokratie, die mit dem Wahlantritt einhergeht, halbwegs bewältigt, und unser PARTEI-Programm ist ja wirklich sehr gut. Aber letztlich macht es einem das Wahlrecht doch ziemlich schwer, Deutschland im Handstreich zu teilen, die Mauer wieder hochzuziehen und dann alles umzuverteilen. Wir konnten leider nirgends flächendeckend antreten, sondern nur in einzelnen Wahlkreisen, und vielleicht hat auch die teils tendenziöse Berichterstattung dafür gesorgt, dass uns viele Wähler bloss für eine Spasspartei hielten. Andererseits: Mit Wahlkampfetats von um die 100 Euro in den Wahlkreisen zwischen 0,4 und 1,3 Prozent einzufangen – das ist ja auch was.

Das hat durchaus professionelles, regelrecht handelsübliches Niveau gehabt, wie es andere Kleinparteien nach Jahrzehnten nicht erreichen – wie ja auch unsere prima Wahlwerbespots, die überall zu sehen waren, aussergewöhnlich gut waren. Im Augenblick ruht die PARTEI-Arbeit allerorten ein bisschen, ruht sich quasi aus, wenn mich mein Eindruck nicht täuscht. Wir müssen mal gucken, was die Genossen in Berlin im Herbst zustande kriegen. Da tritt die PARTEI nämlich noch mal zu den Abgeordnetenhauswahlen und zu den Wahlen für die Bezirksverordnetenversammlungen an.

Viele denken, der Job als Titanic-Redakteur ist der Traumjob. Sag doch mal Sachen, die dieses Bild auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Was gefällt dir besonders an der Arbeit und wie lange siehst du dich noch in diesem Job? Kommt man als Titanic-Redakteur nicht überall unter?

Mark-Stefan: Einerseits ist es natürlich ein Traumjob. Die Kollegen sind sehr zurechnungsfähig, es gibt einiges zu lachen, auch nach Feierabend, die Freiheiten sind gross, die Hierarchie recht flach. Eigentlich ist es also regelrecht Spitze. Dank des einzigartigen Redaktionsstatuts der TITANIC-Gründer kann uns auch niemand inhaltlich im Heft herumfuhrwerken.

Es gibt also keine Einflussnahme vom Verlag oder von wirtschaftlicher Seite – dafür kann man der Gründergeneration nicht genug danken. Dass wir nur die Rücksichten nehmen müssen, die wir selber nehmen wollen, bekommt dem Humor gewiss ganz gut. Andererseits ist Arbeit manchmal eben auch nur Arbeit. Die normalen Redakteurstätigkeiten sind ja nicht durchgehend aufregend und schöpferisch, und wenn es beim eigenen Schreiben oder Witze machen mal hakt und der Redaktionsschluss vor der Tür steht, möchte man sich auch oft lieber aus dem Fenster werfen.

Ich weiss aber, dass ich den Job gerne noch eine Weile machen will, und was danach kommt, wird sich zeigen. Ob man als Ex-TITANIC-Mann tatsächlich überall unterkommt, wage ich zu bezweifeln; man will ja auch nicht überall hin. Die meisten Ex-Redakteure arbeiten allerdings eher als Autoren. Vielleicht haben sie bestimmte Freiheiten schätzen gelernt, die sie nicht so gern wieder aufgeben. Ich persönlich mag aber die Zusammenarbeit mit Kollegen sehr, von daher wäre etwas Redaktionelles unter Umständen doch richtig.

Was für Aufgaben hast du bei der Zeitung?

Mark-Stefan: Ich mache alles, was in so einer relativ kleinen Redaktion halt getan werden muss: Manuskripte lesen, begutachten, redigieren und korrigieren, alles mögliche an Zeitungen, Zeitschriften und im Internet lesen und sich Gedanken und Notizen dazu machen, im Kollegenkreis oder auch alleine Themen suchen, Ideen entwickeln, Witze machen, Texte schreiben. Dann betreue ich diese Rubrik “Vom Fachmann für Kenner”, in der allerlei komische Kurzprosa Aufnahme findet. Da muss ich viele eingehende Texte lesen und regelmässig mit einer grossen Schar von Autoren korrespondieren.

übrigens habe ich da ein Taschenbuch mit den besten Beiträgen aus den ersten vier Jahren der Rubrik herausgegeben; das ist letztes Jahr bei Rowohlt erschienen und kostet nur 6,90 Euro, man sollte es also kaufen. Mit den Kollegen Stefan Gärtner und Oliver Nagel bin ich auch öfters in Deutschland, der Schweiz und österreich auf Lesereise. Als “Titanic – Die jungen Redakteure” lesen wir unsere Texte, mit Ton und Dias garniert, in allen möglichen Clubs und kleinen Hallen und trinken dazu Bier. Wie eine Punkband quasi, nur ohne Instrumente und Groupies, und man muss vielleicht ein bisschen mehr lachen.

Wie bist du zu der Titanic gekommen, du hast ja erzählt, dass du neben deinem Studium (wat war das noch mal?) auch bei einem Fanzine mitgemacht hast…

Mark-Stefan: Mitte der Neunziger habe ich im höheren Semester in Münster Publizistik, Anglistik und Politikwissenschaft studiert. Gute Langzeitstudenten wurden damals ja überall händeringend gesucht, aber ich verweigerte mich dem Arbeitsmarkt, ich wollte das nicht, arbeiten, schon gar nicht zu den Bedingungen, die da üblicherweise herrschen.

Zu der Zeit machten ein paar kluge junge Leute eine Feuilletonbeilage für die Münsterische AStA -Zeitschrift, die teilweise richtig lustig war. In der dritten oder vierten Ausgabe schrieb Holm Friebe, der heute in Berlin die “Zentrale Intelligenz Agentur” macht, einen Text namens “Wie ich mal bei der RAF war”. Das war eine Parodie auf die “Der kleine Nick”-Bücher von Sempé/Goscinny, in der im Kinderton von der “Radfahren-Abenteuer-Fernsehen”-Bande erzählt wurde. Die sperrten den dicken Hanns-Martin in der Turnhalle ein, holten den Angeber Alfred vom Fahrrad und schossen dem Streber Detlev Karsten mit der Zwille an den Kopf.

Das gab dann einen gewaltigen Skandal, weil wahrscheinlich ein rechtsextremer Verbindungsstudent den Text der BILD-Zeitung zuspielte, und die machte dann ein paar Tage später mit der Schlagzeile auf: “Rohwedder-Witwe weint: So wird das Andenken meines Mannes geschmäht!” In der Situation haben sich alle, von der Rektorin bis hin zu AstA und Fachschaften, von Holm und seinem Text distanziert. Es wurde dann auch noch ein Verfahren wegen § 129 a, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, eröffnet, das allerdings ein halbes Jahr später eingestellt wurde.

Es war grotesk. Und es zeigte, dass niemand, der da mitzeterte, auch nur den Hauch einer Ahnung von Literatur und Satire, von Meinungs- und Kunstfreiheit hatte. Ich habe dann in einer anderen Uni-Zeitung eine flammende Verteidigung des Textes geschrieben und den Kontakt zu den Leuten von dieser Zeitschrift gesucht, und weil schnell klar war, dass man diese Unizeitungs-Infrastruktur nach dem Skandal nicht mehr nutzen konnte, haben wir das Projekt zwei Monate später auf eigene Beine gestellt und das Magazin “Luke & Trooke” gegründet, ein Heft mit komischen Texten, Satire, vielen Comics und Cartoons und einem absolut brillanten, zeitgemässen Layout.

In vier Jahren haben wir neun Ausgaben gemacht und selber vertrieben, zum Teil mit Handverkauf in den Kneipen und auf der Strasse, dazu Lesungen im Gleis 22 in Münster, die immer unter einem Motto wie “Butterfahrt”, “Yps mit Gimmick” oder “Papas Super-8-Filme” standen – ziemlich Retro und ziemlich Trash, aber das war damals noch nicht Mainstream -, und dann haben wir schliesslich auch ein Buch bei einem Kleinverlag in Münster draus gemacht, “Haarige Eisen” hiess das.

Auf der Buchmesse in Frankfurt ergab sich dann der Kontakt zu TITANIC-Leuten, und ich habe irgendwann begonnen, “Briefe an die Leser” fürs Heft zu schreiben. Nachdem der erste von mir gedruckt wurde, hatte ich den Ehrgeiz, jeden Monat was drinzuhaben, zu der Zeit habe ich auch viel für “Konkret” geschrieben. “Luke & Trooke” hat dann irgendwann das Zeitliche gesegnet, weil etliche Leute nach Berlin gezogen sind und für die in Münster verbleibenden der Stress mit Anzeigenakquise und Distribution zu gross wurde.

Dann hab ich meinen ersten grösseren Text für TITANIC verfasst, über ein Gagschreiberseminar der Firma Brainpool, an dem ich teilgenommen hatte, und kurze Zeit später wurde ich von der Redaktion gefragt, ob ich nicht drei Monate Praktikum in Frankfurt machen wollte. Ich wollte natürlich, das war dann eine fantastische Zeit, und ein Vierteljahr nach dem Praktikum wurde glücklicherweise ein Platz für mich frei.

Titanic und die neue Frankfurter Schule – war die alte Frankfurter Schule nicht ein riesiger Laberhaufen, der, als das, was sie immer forderten, Wirklichkeit wurde mit den Studentenprotesten und der Institutsbesetzung 1968, ganz old-schoolig die Bullen gerufen haben und somit doch nur gezeigt haben, dass sie geschliffene Texte über Humanismus verfassen können, sicherlich gute und aktuelle Texte, aber praktisch nix drauf haben?

Mark-Stefan: Ich finde das, ehrlich gesagt, totalen Quatsch. Georg Fülberth hat mal sinngemäss gesagt: Die Pflicht des Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen, die Pflicht des Intellektuellen ist es, Erkenntnisse zu formulieren.

Das haben Horkheimer, Adorno und die anderen zur Genüge getan, da kann man sie nicht genug für bewundern. Mit dem antiintellektuellen Ressentiment in der Hinterhand kann man natürlich immer sagen: “Was bedeutet das denn aber praktisch?” Tja, Dummkopf – das musst du wohl selber rausfinden! Selbstverständlich bestand die Frankfurter Schule aus älteren Herren mit grossbürgerlichen Umgangsformen, aber dass sie grölende Institutsbesetzer und barbusige Frauen auf dem Podium barbarisch fanden, spricht nicht unbedingt gegen sie.

Studentische Bürgerkinder, die sich in Gegenwart von verdienstvollen alten Männern schlecht benehmen und ihr schlechtes Benehmen mit halbverdauten Theorien rechtfertigen, sind ja nicht von vornherein im Recht. Diese Leute dürften im Laufe der Siebziger denn auch weniger aufrechte Dosenbier-Punks als vielmehr nützliche Mitglieder der Gesellschaft geworden sein – nach der rebellischen Phase, die man seit etlichen Jahren einfach jedem Bürgerkind zugesteht -, und haben sich dann aber hoffentlich tüchtig geschämt.

Was liest du so? Welches Buch muss man gelesen haben, um ein besserer Mensch zu werden?

Mark-Stefan: Ich lese praktisch alles. Von Werbebroschüren, Flugblättern und Lebensmittelzutatenlisten über Zeitungen, Zeitschriften und die SUPER-ILLU bis hin zu richtigen Romanen – und manchmal sogar Lyrik, jedenfalls wenn sie lustig oder total ernsthaft ist. Wenn man aber wirklich ein besserer Mensch werden will, sollte man unbedingt gelesen haben:

Mark-Stefan Tietze (Hg.): “Vom Fachmann für Kenner – Lebenshilfe von TITANIC”, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 6,90 Euro. Auch sehr gut: “Man spricht Deutsh – Hausputz für genervte Leser” von meinem Kollegen Stefan Gärtner, ebenfalls bei Rowohlt erschienen. Kostet aber 10 Euro, muss man also ein bisschen drauf sparen.

Hier TRUST = Punk/HC-Fanzine, hast du einen Bezug zu Punk? Was hörst du so für `nen Sound und was sind die drei überflüssigsten Bands ever?

Mark-Stefan: Punk als disharmonischer Gleichklang von permanenter Revolution und tollem Gitarrenkrach ist mir immer sehr wichtig gewesen: Dass man sich bestimmte Dinge einfach rausnimmt, dass es nicht um Virtuosität geht, dass man fundamental wütend ist und dabei Stil und Spass hat. Ich bin auch ein grosser Freund von Turbonegro, “Apocalypse Dudes” von 1998 ist eines der besten Alben der Welt. Den Traditionspunk mit seinen ewiggleichen Akkorden und Posen finde ich aber ein bisschen langweilig, das ist im Grunde eine konservative Musik.

Im Augenblick höre ich zum Beispiel Death From Above 1979, Le Tigre und The Soundtrack Of Our Lives viel lieber, und in meinem Plattenschrank finden sich eher Psychedelica, Krautrock, Garagenmusik, seltsamer Hardrock, fieser Metal, merkwürdige Grooves und viele alte Roky Erickson- und Kiss-Platten. Zu den überflüssigsten Bands “ever” kann ich nichts sagen. Es kommt ja immer darauf an, in welcher Situation und zu welcher Zeit man was hört.

Neulich habe ich mir, um mich selber extrem herauszufordern, “Seconds Out” von Genesis ausgeliehen, das Livealbum von 1977. Ich dachte, jetzt, wo alle Welt Phil Collins hasst, wäre es vielleicht ein kitzliges Vergnügen, den plötzlich gutzufinden. Aber es war ganz furchtbar, ich hab keine zwei Stücke ausgehalten, aus dem Plan wurde also nichts. Ansonsten, wenn ich`s mir überlege und genau bedenke, bin ich immer noch nicht ganz sicher, ob es die Beatles wirklich hätte geben müssen.

Du pendelst zwischen Münster und Frankfurt am Main, warum? Wenn du die beiden Städte vergleichst, wo ist es besser?

Mark-Stefan: Ich habe viele Bindungen an Münster. Es ist schön da, schön und ein bisschen langweilig. In Frankfurt ist es noch viel schöner und noch viel langweiliger. Da kann man sich kaum entscheiden, wo man wohnen möchte, und pendelt deshalb hin und her.

Hast du eine Frage an mich? Grüsse an die Trust Leser?

Mark-Stefan: Jan, wann willst du endlich einen ordentlichen Beruf ergreifen oder wenigstens schreiben lernen? (Anm.: Oh Schreck, mir fällt dazu gar keine witzige Antwort ein. Bald. Nie.) Und die Trust-Leser möchte ich selbstverständlich ebenfalls ganz herzlich grüssen, jeden einzelnen von ihnen, wo immer sie auch gerade sind, und fragen:

Dieser Hardcore oder wie das heisst – muss man dabei denn immer rumhüpfen, sich anrempeln und mit Bier bespucken oder kann man dazu auch schön sitzen bleiben, Latte Macchiato trinken und mit dem Fuss wippen?

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Interview: Jan Röhlk
Kontakt: www.titanic-magazin.de

Links (2015):
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