Februar 10th, 2020

DOERTEBEKER aus #193, 2018

Posted in interview by Jan

von Koyaanisqatsi zu Dørtebeker: Interview mit Henne.

Hierarchien sehen wir längst nicht mehr.
Alles Augenhöhe, den Tunnelblick haben alle hier gemein.
Lego ohne Schwerkraft, unser Code regiert.
Mate hält uns wach, keiner hier will heim
Alltag/Arbeit/Arbeit/Freizeit: Entgrenzung freut den Boss
Hackathons und Coding Nights: Mal 0, mal 1
Feierabend nichts als Spiesserscheiss
Das Fixie ohne Bremse, endlich wieder im Büro.
Leerlauf, Runterschalten war nie unser Ding.
Den Chef duzen, das ist unsere Rebellion.
Die Luft schön schwer vom Testosteron.
(Dørtebeker – Mal 0, mal 1)

Ich kenne Henne von der Bremer Punk-Band dørtebeker als aktiven Konzertveranstalter und Bandmacher seit den 90er aus unserer gemeinsamen Zeit in Leverkusen. Er spielte bei legendären Bands damals im Rheinland mit, zum Beispiel bei Strange Fruit aus Langenfeld (zwischen Leverkusen und Düsseldorf gelegen), von denen gab es u.a. eine tolle Split-LP mit Peace of Mind. Das legendäre Langenfelder JUZ Fröbelstraße gibt´s, glaube ich, immer noch, es war ein cooler Ort in den 90er für Konzerte und Parties, ich weiß es nicht genau, ob Henne da auch mitmachte, wahrscheinlich ja. Später gab es dann auch die sau gute Crust-Band Ngutukiro, dort spielte Henne Schlagzeug und am Gesang waren Marcel und Britta.

Marcel wiederum sollte später als Sänger 100blumen in Düsseldorf gründen. Deren Gitarrist ist übrigens Chris und Chris wiederum spielte vor 100blumen mit Henne am Bass und Gesang und Mitch am Schlagzeug bei der Leverkusener Band Koyaanisqatsi mit. Und um euch jetzt komplett zu verwirren: der frühere Schlagzeuger von Strange Fruit, Malte, trommelt heute auch bei 100blumen, er spielte zwischenzeitlich aber auch noch bei den local heros von Silly Encores mit, Strange Fruit hatten den mega geilen Song „Warum hast du Angst?“, derweil Silly Encores mit ihrem „9 to 5“ („Not for money, not for goooold“) mich auch (live) total begeistern konnten. Und es gibt noch weitere Schnittstellen von Strange Fruit zu dørtebeker, aber dazu mehr im Interview.

Anyway, Koyaansqatsi kennt ihr sicher noch. Sie waren eine sehr geile und wichtige politische Punk-Band aus Leverkusen, so überzeugend wie es zum Beispiel Muff Potter bis inklusive der zweiten LP waren. Mitch brachte sich 2005 um, die Band sah ich dann später nochmal im AJZ Metzgerstraße in Hanau, wo sie eine kurze Tour machten. Ein gutes altes Koyaanisqatsi-Interview findet ihr auch auf der Seite von Kink Records und ihre Diskografie natürlich auf Discogs. 2017 coverten 100blumen mit Chris am Gesang den Koyaanisqatsi-Song „Oktober“ für eine Single, bei dem Song besorgten Henne und Turbostaat den Background-Gesang.

Ich wollte mit Henne schon lange ein Interview machen, das klappte jetzt glücklicherweise. Er musiziert seit einigen Jahren als Bassist/Sänger bei der Bremer DIY-Punk-Band dørtebeker und wohnt schon lange in Bremen, er ist somit genauso wie ich Leverkusen-Flüchtling. Checkt dørtebeker mal aus, auf der Homepage gibt es auch Texte und Downloads. Mitte 2014 war übrigens ihr erster Auftritt in der Friese in Bremen.

Henne hat viel erlebt und ist immer noch aktiv mit dabei, so begleitete er zuletzt zum Beispiel die Kumbia Queers aus Südamerika auf ihrer Tour als Tontechniker, dort traf ich ihn auch in Kiel beim Konzert in der Alten Meierei wieder und wir begegneten uns erfreulicherweise auch in Bremen im Schlachthof bei einer Geburtstagsparty oder auch beim Rattengold-Konzert in der Lila Eule… Zum Zeitpunkt der Finalisierung dieses Interviews im Mai 2018 (dessen Anleiern aber natürlich schon Monate vorher begann) gaben Koyaanisqasti wieder einige Konzerte, mal sehen, was die Zukunft noch so bringt….

Hey Henne, wie kamt ihr auf euren Bandnamen DØRTEBEKER, hat der eine tiefere Bedeutung? Ich lese online, dass ihr noch Alternativen hattet, Doerthe Bäcker, Giraffenstillstand oder Fiasko 404…
Natürlich hat der eine tiefere Bedeutung, deshalb waren die Alternativen auch ganz schnell wieder vom Tisch. Wichtig ist vor allem ohne h und nicht mit ck. Es heißt ja auch nicht Störtebecker, sondern eben beker.

Könnte es sein, dass ihr musikalisch mit einem dezenten Hauch Rachut arbeitet?
Mhhh… Also wenn, dann sind Ähnlichkeiten sicher nicht mit Absicht „erarbeitet“. Das Wort „arbeiten“ ist, glaube ich, in dem Zusammenhang bei Dørtebeker ohnehin ziemlich fehl am Platz. Aber es ist ja nun häufig so, dass Bands Musik machen, die sie selber mögen und von der sie geprägt wurden. Das ist ja auch gut so – und das ist bei uns sicher mit den alten Bands von Jens Rachut über viele Jahre der Fall gewesen.

Der Text zu eurem Song „Mal 0, mal 1“ ist echt der Hammer „Das Fixie ohne Bremse, endlich wieder im Büro. Leerlauf, Runterschalten war nie unser Ding. Den Chef duzen, das ist unsere Rebellion. Die Luft schön schwer vom Testosteron“. Aber arbeitet ihr nicht selber alle in so coolen Agenturen, mit Tisch-Kicker etc.?
Hier ist es ja nun auch so, dass die Texte zu Themen, mit denen du dich auskennst, oft am griffigsten werden. Unser Sänger Peter hat daher extra ein mehrwöchiges Praktikum in so einer Software-Bude gemacht, um für den Text zu recherchieren. Es freut mich, wenn dir das Ergebnis gefällt! Mir übrigens auch. Und das mit dem Chef duzen und den Tisch-Kickern hat ja auch immer mehrere Seiten. In dem Text geht es aber auch darum, dass Menschen sich eben mit ihrer Arbeit irgendwo über-identifizieren, nicht runter-schalten, die Nacht im Büro verbringen und sich am Ende eben doch für die Interessen der Chef*innen oder der Firma abschuften. Da lassen diese dann auch mal ´ne Kiste Mate oder ein gemütliches Sofa springen.

Ich denke, in den allermeisten Arbeitsbereichen ist das aber nicht die Norm. Viel Leute müssen beschissene Jobs für ´ne beschissene Bezahlung machen, haben ganz wenig Möglichkeiten zur Mitbestimmung oder Kreativität. Und andere haben es ja auch geschafft, sich Arbeitsstrukturen ohne Chef*innen aufzubauen, haben sich in Kollektiven oder als Netzwerk organisiert. Da ist es ja auch immer interessant, sich positive Beispiele anzuschauen, die funktionieren – und voneinander zu lernen. Wir arbeiten alle, mehr oder weniger, in ganz unterschiedlichen Bereichen. Aber generell nimmt das Thema Arbeit schon einen größeren Bereich im Alltag ein, als es das noch vor zehn bis 15 Jahren getan hat.

Ich selber arbeite auf Konzerten, im Theater und in Kulturzentren als Tontechniker; außerdem bei einer NS-Gedenkstätte. Da geht es dann eher darum, Gäste und Besucher*innengruppen zu betreuen und sich mit diesen über das Thema Nationalsozialismus und Zwangsarbeit auseinander zu setzen. Das sind letztlich alles Bereiche, mit denen ich mich schon sehr lange beschäftigt habe, bevor ich sie als Arbeit bezeichnet hätte. Und die mir folglich etwas bedeuten. Da bin ich im Grunde ganz froh drüber, das hat aber auch Vor- und Nachteile.

Wie kam es, dass (das Düsseldorfer Label) Raccone Records euer Tape rausbrachte?
Rikk ist ein alter Wegbegleiter von fast all unseren früheren Bands. Er war auf unserem ersten Konzert und schlug vor, ein Tape mit uns rauszubringen. Das passte alles gut und die Sache war schnell klar.

Komm, das ist doch ´nen Witz oder habt ihr wirklich als Merch eine Nackenrolle und ´ne Schlafbrille gehabt?
Ne, kein Witz! Und ich sag dir, die Dinger sind sehr praktisch und gingen weg wie warme Semmeln. Da machen sich Jahre des Reisens bei einigen von uns bemerkbar. Und du als alter Hase im Musik-Business und Journalist weißt ja: es wird immer schwieriger für Bands, sich durchzuschlagen. Die Plattenverkäufe laufen nicht mehr so wie früher, auch das Live-Geschäft wird immer härter. Die Merch-Einnahmen nehmen heute einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Da sind kreative Lösungen gefragt, und ich bin froh, dass wir eine Abteilung haben, die sich um so etwas kümmert :-).

Wie ist das, wenn man ein Konzert mit euch machen will, Spritkohle, Essen, Bier, Penn-Plätze? Oder braucht ihr gar nicht Anfragen von „draußen“, weil ihr alle über die Jahre eure Szene-Netzwerke gebildet habt?
Naja, du schreibst uns oder sprichst uns an und wenn es passt, dann machen wir ein Konzert zusammen. Einige wichtige Parameter dafür hast du schon selber genannt. Aber Spritkohle, Essen und Penn-Plätze sind ja an den meisten Orten Europas, die ich innerhalb der Punk/HC Szene kenne, kein Problem. Getränke sowieso nicht… Und natürlich gibt es auch ein „Szene-Netzwerk“ aus Kontakten, die teilweise schon viele Jahre halten. Aber hey, die meisten Leute aus „unserem“ Netzwerk sind ja nun auch keine 25 mehr und verbringen den Großteil ihrer Zeit damit, sich unbekannte Bands anzuhören, diese mit ihrer Konzertgruppe zu ihrem nächsten Konzert einzuladen, um dann zwei Tage zu kochen, aufzubauen, die Leute zu verpflegen und zu putzen. Geht mir ja selber auch so.

Also, ich mache das noch regelmäßig, aber eben nicht mehr so oft. Und die Leute, die das heute machen, kommen ja nun nicht unbedingt als erstes darauf, ausgerechnet uns einzuladen. Wir haben nicht mal ´ne Facebook-Seite… Mit Dørtebeker haben wir aber auch leider gar nicht so viel Zeit für Konzerte, wir spielen echt selten und mussten Einladungen oft ausschlagen. Aber natürlich sind wir auf Anfragen und Einladungen angewiesen und freuen uns darüber. Ohnehin hat sich ja die DIY-Punk/HC Konzert-Struktur schon ziemlich verändert im Vergleich zu den 90er.

Klar, es gibt mega viele coole Leute und Konzertorte, aber dieses Netzwerk von Konzertgruppen, die in jeder kleineren Stadt regelmäßig gemeinsam Sachen veranstalten, zu denen dann auch noch jede Menge interessierte Leute kommen, das scheint mir nicht mehr überall so zu sein, und wenn, dann nun auch nicht unbedingt HC-Punk. Überhaupt braucht es ja erstmal den Ort, an dem du kostengünstig was veranstalten kannst. Das JUZE, das Squat, den Wagenplatz, das AZ… eben diese Orte, an denen wir, glaube ich, in all den Jahren 95 Prozent unserer Konzerte gespielt und veranstaltet haben.

Es gibt noch viele solcher Orte, aber sie werden nicht unbedingt mehr und es gibt eben auch so viele andere Sachen zu organisieren als Punkkonzerte. Und heute haben ja auch viele Bands, die ihre erste Platte machen, gleich irgendeine Agentur, die wiederum ihre Kontakte zu einzelnen Läden oder einzelnen Veranstaltern hat, wo es dann schnell in so einen Semi-Profi-Bereich geht, in dem erst mal diverse offizielle Dokumente hin und her geschickt werden und weniger über persönliche Kontakte.

Lass uns kurz auf deine alte Band Koyaanisqatsi und noch einige andere Fragen zu sprechen kommen, für ein paar Konzerte gab es euch ja irgendwie doch noch… oder?
Ja. Also. Naja. Nach dem Verlust von unserem Freund und Schlagzeuger Mitch war natürlich alles anders als vorher. Wir waren wie im Schock und tiefer Trauer. Es war klar, dass die Band ohne ihn nicht mehr so sein kann wie vorher, aber es war auch eine komische Vorstellung, seinen Tod als das finale Ende der Band zu sehen. Wir haben uns in der Zeit viel ausgetauscht mit Freund*innen, auch mit anderen Bands und Projekten, in denen eine Person gestorben war, wie die so damit umgegangen sind. Zusammen weiter Musik machen war ein wichtiger Part, um mit der ganzen Geschichte umzugehen. Wir haben uns teils für mehrere Tage auf dem Land mit Freund*innen getroffen und Musik gemacht.

Daraus ist ein Abschiedsabend für Mitch entstanden, an dem wir nur Lieder gecovert haben, die Mitch mochte, die uns verbunden haben oder die zu unserer Situation gepasst haben. Das war einerseits eine zusätzliche Trauerfeier, anderseits auch eine große Selbst-Hilfe. Eine schreckliche Zeit und gleichzeitig eine wertvolle Zeit. Denn wir hatten das große Glück, einige Menschen zu haben, die für uns auch irgendwie zur Band gehört haben, auch wenn sie kein Instrument in der Hand hatten, von denen einige mit uns dann zusammen noch mal auf eine knapp drei-wöchige Abschiedstour gegangen sind. Mattes hat die Trommeln übernommen, Luz eine zweite Gitarre und Aga, mit der wir ja auch schon mal eine Single zusammen aufgenommen hatten und die schon bei unserem allersten Konzert dabei war, hat noch mitgesungen.

Wir wussten im Vorfeld nicht, wie das dann so wird mit der Tour, aber letztlich war es eine tolle, besondere Tour. Wir waren zu fünft auf der Bühne statt zu dritt, es war neu und anders und gleichzeitig vertraut und die alten Lieder, die damals teilweise noch gar nicht so alt waren, weil Mitch nur ein paar Monate, nachdem die „weiter“-LP rauskam, gestorben ist. Danach war klar, dass wir irgendwie weiter zusammen Musik machen. Wir haben MAKIA gegründet, mit Aga am Gesang, drei oder vier Konzerte unter diesem Namen gespielt, und dann ging es leider auch mit der Band nicht mehr weiter. Zwei Jahre später sind wir dann noch mal zu dritt mit Mattes als Schlagzeuger auf kleine Frankreich- und Schweiz-Tour gegangen und haben bei dem ein oder anderen besonderen Event, zu dem wir eingeladen wurden, auch noch mal gespielt, zuletzt, glaube ich, bei den Abschiedskonzerten von Schneller Autos Organisation aus Hamburg.

Aber wir selbst haben nicht noch mal ein spezielles Abschiedskonzert gemacht. Erstens war uns nicht nach Abschied und zweitens haben wir auch nicht gesagt, dass wir nie wieder spielen. Wir leben einfach alle mehrere hundert Kilometern auseinander und haben alle viel um die Ohren. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass alle geile neue Bands gemacht haben. Chris ist bei 100 Blumen, Mattes macht Nervous Assistent, Aga macht Herculines, Luz macht noch Daddy Longleg und The Evil Bad. Alles tolle Bands!

Der Trommler, der zuletzt bei euch spielte, der ist heute bei Nervous Assistent oder?
Siehe oben, haha. Ja, als Sänger (und das wird jetzt vermutlich nur dich interessieren, denke ich: Mattes hat auch vor Koyaanisqatsi schon am Ende bei Strange Fruit getrommelt, als Malte (heute bei 100 Blumen) von Strange Fruit aus von der internationalen DIY-Bolzplatz-Liga in die dritte Amateurliga zu Silly Encores gewechselt ist, haha).

Du hast ja eine lange Karriere an geilen Bands, schon damals in Langenfeld, Dreckfleck und die großartigen Strange Fruit… wolltest du immer in ´ner Band spielen, Sex, Drugs and RocknRoll? Oder hat dich immer eine linke gesellschaftskritische Message angetrieben?
Puh. Also Karriere würde ich das nicht nennen, haha. Also, ich denke nicht, dass das eine das andere ausschließen muss. Aber dieses rein stumpfe Rock´n`Roll- oder Mucker-Ding war bestimmt nie meins. Und ich würde schon sagen, dass mich immer eine Message angetrieben hat. Ich denke, als Teenager mit den ersten Band ging es auch schon viel darum, was aktives Gemeinsames zu machen, dem Alltag zu entfliehen, ein Ventil für die ganze Wut zu haben. Punk-Rock eben. Und darum, rauszukommen, loszufahren, andere Orte und Menschen zu erleben. Und das Motiv ist ja bis jetzt geblieben, auch wenn du inzwischen schon ein paar Dinge gesehen und erlebt hast.

Es ging aber auch immer viel um Austausch. Irgendwo hin fahren, Leute kennenlernen, bei denen feiern, diskutieren, pennen und frühstücken. Um sie dann irgendwann zum Gegenbesuch bei sich zu Hause zu haben. Viele Freundschaften und Kontakte rühren aus dieser Zeit des Unterwegssein. Das kann aber auch als Freund, Fahrer oder Tontechniker sein. Hauptsache, die Message stimmt und es wird auch mal ´ne ordentliche Fete gefeiert zwischendurch.

Denkst du, wir erleben von deiner aktuellen Band mal ´ne Coverversion von Koyaanisqasti?
Ne, ich denke eher nicht.

Und letzte Frage zu dem Thema, das wollte ich dich immer schon mal fragen: ist der Film nicht eigentlich total reaktionär, weil dort wird die menschliche Zivilisation generell als Problem dargestellt, aber es ist doch eigentlich das kapitalistische System?
Mhhh. Ist das so? Das Wort Koyaanisqtsi bedeutet ja in der Sprache der Hopi so viel wie: „Ein Lebenszustand, der geändert werden muss“. Das bringt es erstmal auf den Punkt und lässt natürlich auch viel offen. Die Band ist eher, wie der Film auch, danach benannt als nach dem Film. Die Idee ist also eher geklaut. Und Bandnamen sind ja eh ´ne sehr schwierige Sache, ich kenne nur sehr wenige, die ich richtig gut finde… Ich habe den Film, ehrlich gesagt, viele Jahre nicht gesehen. Zunächst mal ist es aber auch ein ganz großer künstlerischer Dokumentarfilm, der ein ganzes Genre geprägt hat. Ganz ohne Worte und dabei total ausdrucksstark.

Aber schont er das kapitalistische System? Habe ich nicht so in Erinnerung. Es werden viele Kontraste gezeigt, zwischen Armut und Reichtum, Zusammenhänge von Industrie und Zerstörung… Der Film hat auch viel Verstörendes und wirft Fragen auf, ohne ´ne konkrete Lösung zu präsentieren. Und ich meine, also, dass der Planet durch Industrie und menschliches Verhalten zerstört wird und welche negativen Folgen das hat, das ist doch top aktuell und damit liegt der Film ja nun mal nicht so falsch.

Wir kennen uns ja recht lange, du warst immer ein sehr politischer Mensch, in den 90er in Leverkusen war es ja so ein bisschen so, dass wir im JUZ Bunker mehr die Fun- und Saufen-Fraktion und ihr in der Kolberger Straße die politischen Leute wart, das fand ich damals schon blöd, weil es auch nicht stimmte… trotzdem, würdest du sagen, du bist PC?
Also, wir hatten auch Spaß und haben auch gesoffen. Mit dem Begriff PC konnte ich noch nie was anfangen. Als PC habe ich mich bestimmt nie bezeichnet. Ich verstehe darunter eher, anderen dogmatisch etwas aufzudrücken zu wollen. Das wäre nicht mein Ansatz. Politisch = PC geht für mich nicht auf. Entweder der Begriff wurde in der Szene von so hyper-korrekten Leuten verwendet, um anderen ein vermeintliches Fehlverhalten vorzuwerfen oder von politisch uninteressierten Leuten, um politisch aktive Leute als Spaßbremsen darzustellen. Albern. Ich finde, es ging und geht darum, ´ne politische Haltung zu entwickeln, zu diskutieren und die Stimme zu erheben und nicht, sich als „was Besseres“ von anderen abzugrenzen.

Du warst ja mit in der Gründungscrew vom Kulturausbesserungswerk in Leverkusen, wie findest du den Laden heute? Da ist ja viel auch an non-Punk-Veranstaltungen, zum Beispiel Kabarett; und manche sagen, dass man dafür nun nicht gerade gekämpft hatte.
Gibt es wirklich Leute, die so etwas sagen? Das fände ich sehr unpassend… Im KAW gab es schon immer auch viele andere Sachen als Punk. Das heißt ja nicht, dass sie Mainstream sind, ganz im Gegenteil! Das KAW ist ein selbstorganisiertes, unkommerzielles, politisches Kulturzentrum. Und es haben von Anfang an Leute mitgewirkt, die andere Sachen als Punk gemacht haben oder zumindest nicht unter dem Label, die haben sich ja nicht in einen Punk-Laden reingesetzt und gesagt „ab jetzt nur noch Theater“. Und eben auch andere Generationen, die schon Häuser besetzt haben und sub-kulturell und politisch aktiv waren, bevor es Punk in der Form überhaupt gab.

Diese ganze Kabarett-Crew zum Beispiel hat schon lange vorher Freiräume in Leverkusen betrieben, in denen auch schon so lange ich mich erinnern kann Platz für Antifa und andere wichtige Dinge war. Im KAW sitzt zum Beispiel auch der Flüchtlingsrat, der total wichtige Arbeit macht. Und an einem Tag gibt es dort Theater, dann ein Reggae-Konzert und dann wieder ein Deutsch-Punk-Konzert. Ich finde das KAW großartig! Und dazu muss mir nicht alles an dem Programm dort gefallen. Viele Orte könnten sehr froh sein, so einen tollen Laden zu haben, in dem zudem nicht nur eine Sub-Kultur-Schiene ihr Süppchen kocht, sondern mehrere und unterschiedliche – und das oft gemeinsam.

Warum ist das wunderschöne, schon von OHL besungene, Leverkusen nicht so geil wie Bremen? Du meinst doch nicht im ernst, dass die Haake-Plörre besser ist als das gute Früh-Kölsch?
Du meinst doch nicht im Ernst, dass ich mich auf ein Gespräch über Bier-Sorten einlasse… haha. Es gibt, ehrlich gesagt, ein paar Stadtteile von Bremen, die durchaus an Lev erinnern, wenn du mal aus der schnuckeligen Innenstadt rausgehst. Aber vor allem hat Leverkusen den geileren Fluss.

Du liebst ja auch die erste Hosen, warum? Damit wird man einfach im Rheinland sozialisiert, wa!
Also ich fürchte, ich muss dich enttäuschen. Die erste Hosen ist gar nicht mein Favorit, ich finde, bei der Band kannst du nicht sagen: umso älter, umso besser! Auf der „Opel-Gang“ sind auch scheiß Songs. Ich finde, jede Hosen-Platte bis heute hat ein paar echt gute Lieder und ein paar echt schlechte Lieder und ein paar ziemlich mittelmäßige Lieder. Ich habe mir mal so ´nen Mix gemacht, mit meinen persönlichen drei bis vier besten Liedern von jeder Platte, der ist der Hammer, den gebe ich dir mal! Das beste Album zum komplett hören ist für mich immer noch „Ein kleines bisschen Horrorshow“.

Was sind deine drei Punk-HC-Scheiben für die Insel, vielleicht magst du es etwas ausführen, warum…
Also, das ist echt schwer. Ich würde wahrscheinlich das Schiff verpassen, weil ich mich nicht entscheiden könnte. Oder einen vollgestopften MP3-Player mitnehmen und ein solarbetriebenes Auflade-Gerät. Aber ich sag jetzt mal: Econochrist – Trained to serve. Einfach eine großartige Scheibe! Das Zusammenspiel, das Ausgekotzte, die Energie. Dazu Erinnerungen an geile Konzerte. Mein T-Shirt von einer der Touren wurde mir leider mal geklaut, sonst würde ich das gleich auch mit auf die Insel nehmen. Post Regiment – Czarly. Für mich eine der besten Punk-Platten. Tolle live-Band, tolle Leute, tolle Begegnungen, Erinnerungen, gemeinsame Konzerte… Nur die Texte flüssig mit zu singen habe ich bis heute nicht hinbekommen. EA80 – Schauspiele. Einfach eine schöne Platte.

Vielleicht würde ich aber auch was neueres einpacken und vielleicht auch eher ein live-Album. Denn auf der Insel mangelt es womöglich an Konzerten und es gibt ja unglaublich gute live-Alben. Das neuste Album von The Notwist: “Superheroes, Ghost-Villains and Stuff”. Großartige Platte, mit alten und neuen Liedern in klasse live-Versionen. Und es ist eine Doppel-LP, auch praktisch für die Entscheidungshilfe. Oder das live-Album „Big Guitars in Little Europe“ von Justin Sullivan, das müsste schon mit. Und dann noch ein Konzertmitschnitt von den KUMBIA QUEERS aus Argentinien. Tolle live-Band!! Ein live-Album gibt`s noch nicht, aber ich war ein paar Mal mit ihnen auf Tour und wir haben einige Konzert-Aufnahmen gemacht. Ich finde, es sollte einelLive-Platte geben, aber falls es nie dazu kommen sollte, dann nehme ich eben die Festplatte mit den Aufnahmen mit auf die Insel….

Kurze Fragen und Antworten am Ende noch. NOFX oder Bad Religion?
Bad Religion – wegen der „Suffer“-LP.

Toxoplasma oder Inferno?
Toxoplasma. Tatsächlich auch nur wegen DER LP und wegen subjektiv sehr aufregenden Konzerterlebnissen bei Toxoplasma in früherer Jugend.

The Doors oder Jerry´s Kids?
Ich habe keine Ahnung, muss ich mich enthalten.

Zitronen oder Rachut?
Also, das ist eine wichtige Frage, die lässt sich unmöglich kurz beantworten, haha. Die Zitronen, weil ich sie mit allen Veränderungen und Facetten immer gemocht habe, wegen ihres politischen Anspruchs, der einfach da ist und ausgedrückt wird, ohne ihn als Image vor sich her zu tragen und für souverän sein, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen. Und auch, weil ich sie mehr als Kollektiv wahrnehme, was mir eher liegt. Und wegen dem Blick weit über den Tellerrand von Deutschland und von Punk-Rock hinaus.

Bei Rachut gibt es auch so viele Songs, die mir was bedeuten, und vor allem Dackelblut und Angeschissen. Wenn du mich nun aber fragen würdest: „Kampfstern Mallorca dockt an“ oder „Blumen am Arsch der Hölle“, dann „Blumen am Arsch der Hölle“ wegen dieses genialen Albums. Wenn du mich fragen würdest: „NRFB“ oder „Fuck You“, dann sage ich wieder „Fuck You“. Unterm Strich also: Zitronen.

AC/DC oder KISS?
Musikalisch AC/DC. Aber, ich weiß, das können nun ganz viele nicht nachvollziehen, mir bedeuten beide Bands überhaupt nichts.

Danke für deine Zeit, lieber Henne! Hast du noch einen Gruß an unsere zehn Leser?
Danke dir, lieber Jan. Danke liebe Leserinnen und Leser. Stay free!

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: doertebeker.net

Nach Fertigstellung des Interviews erfuhren wir, dass Dørtebeker sich aufgelöst haben. Sehr schade, aber vielleicht wird es ja so laufen wie mit Koyaansqatsi, die ab und an wie neulich auch mal hier und da wieder auftreten, es ist also vielleicht noch nicht ganz vorbei…

 

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