Digitaler Kolonialismus – Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen, Ingo Dachwitz & Sven Hilbig
Verlag C.H. Beck, Wilhelmstraße 9, 80801 München, www.beck.de
Mal wieder ein Buch voll mit sehr gut recherchierten Fakten und Informationen, die sich leider nur kein Mensch in der Gesamtheit merken kann. Was man aber merkt ist, das einiges, schon wieder, falsch läuft. Und irgendwas bleibt ja immer hängen, so ist hier zu erfahren das nicht Gutenberg (der ja gar nicht so hieß) den Buchdruck erfunden hat, sondern das dies bereits einige hundert Jahre früher in China geschah, das mit dem Erfinden des Drucks mit beweglichen Lettern, nämlich um das Jahr 1041, der Mann hieß Bi Sheng. Ein Blick aufs Inhaltsverzeichnis des Buchs verrät schon viel:
Einleitung: Des Kolonialismus neue Kleider; I. Arbeitskraft: Die ausgebeuteten Arbeiter:innen hinter der Künstlichen Intelligenz; II. Daten: Gefährlicher Extraktivismus der Tech-Konzerne; III. Rohstoffe: Digitaler Fortschritt auf Kosten von Menschen und Natur; IV. Repression: Das blutige Geschäft mit Zensur, Überwachung und Kontrolle, V. Infrastruktur: Wie Kabel- und Satellitenprojekte die Abhängigkeit des Globalen Südens aufrechterhalten; VI. Geopolitik: Wie sich das Wettrennen der digitalen Großmächte USA und China auf den Globalen Süden auswirkt; VII. Europa: Das falsche Versprechen vom Dritten Weg der Digitalisierung; Nachwort von Renata Ávila Pinto: Wider den digitalen Kolonialismus. Puh, das ist eine ganze Menge und es fühlt sich teilweise an wie eine nicht enden wollende Reportage aus einem Nachrichtenmagazin – was jetzt ganz ohne Wertung ist. Dazu kommen deutlich tiefer gehende Analysen der Thematik und das Autorenduo ist immer bemüht die eurozentristische Sichtweise zu verlassen und so oft es geht mit Forscher:innen und Aktivist:innen aus dem Globalen Süden zu sprechen oder diese zu Wort kommen zu lassen. Das ist cool, das sie nicht in die gleiche Falle tapsen in die so viele andere von hier treten, wenn sie über den globalen Süden schreiben. Am Ende fassen sie das Buch selbst nochmal so zusammen: „ Europa ist ein Profiteur und Treiber des digitalen Kolonialismus, daran gibt es keinen Zweifel. In den ersten Kapiteln dieses Buches haben wir aufgezeigt, dass europäische Unternehmen auf kolonialen Spuren wandeln und von Ausbeutung in der globalen Digitalökonomie profitieren beziehungsweise diese aktiv mit vorantreiben. Da sind zum Beispiel Accenture aus Irland, Teleperformance aus Frankreich oder Majorel, das bis 2023 zu Hälfte dem deutschen Bertelsmann-Konzern gehörte: Die europäischen Firmen ermöglichen bereits seit langem Outsourcing schwerer Computerarbeit in Länder des Globalen Südens. Während die Branche für schlechte Arbeitsbedingungen und Union Busting bekannt ist, profitieren europäische Tech- und Automobilunternehmen davon, dass sie Datenarbeit für das Training ihre KI-Systeme, billig auslagern können. Auch am weltweiten Datenextraktivismus sind europäische Unternehmen beteiligt, sei es als Datensammler — wie das irische Criteo und das britisch-niederländische Nielsen — oder als Treiber der digitalen Landwirtschaft — wie der Bayer-Konzern aus Deutschland. Europa ist zudem ein Zentrum der globalen Überwachungsindustrie. Seit Jahrzehnten beliefern hiesige Hersteller Autokraten mit Videoüberwachungstechnologien, Spionagesoftware und Zensurprogrammen und ermöglichen so die seit dem Kolonialismus fortgesetzte Unterdrückung von Millionen Menschen im Globalen Süden. Die zaghaften Versuche der EU, die Exporte mit den gefährlichen Repressionswerkzeugen einzuschränken, zeigen bislang wenig Wirkung. Unterdessen sind europäische Rohstoffkonzerne wie Glencore aus der Schweiz und Umicore aus Belgien tief in das tödliche Geschäft mit Rohstoffen verstrickt. Europäische Tech- und Autohersteller wiederum profitieren von Kobalt, Lithium und anderen Rohstoffen. Für die sozial-ökologischen Schrecken in ihren Wertschöpfungsketten übernehmen weder die einen noch die anderen Verantwortung. Die Europäische Union nimmt zwar für sich in Anspruch, einen anderen Weg als die digitalen Großmächte USA und China zu gehen, in der Praxis beschränkt sie ihre Schutzbestrebungen aber auf EU-Bürger:innen. Um zu verhindern, dass Menschen auf der Flucht vor den Folgen des Kolonialismus ihre Grenzen passieren und nach Europa migrieren, nutzt die EU selbst fortschrittlichste Digitaltechnologien. In ihrer digitalen Außenwirtschaftspolitik orientiert sie sich unterdessen sehr wohl an den großen Playern USA und China: Die EU treibt die Anbindung insbesondere des afrikanischen Kontinents mit strategischen Infrastrukturprojekten voran, mittels derer die Länder des Globalen Südens langfristig in ihrer Rolle des Rohstofflieferanten gehalten werden sollen. Dabei dienen die Verordnungen der EU Autokrat:innen immer wieder als Vorbild für Gesetze, die die Freiheit ihrer Bürger:innen im Netz einschränken.“ Ich fand das Buch interessant zu lesen, weil es nochmal klar macht, das es im Prinzip so weitergeht wie bisher, nur eben digital – ob sich jetzt durch die Veröffentlichung des Buches was ändern wird, ist leider zu bezweifeln. Man kann auch noch weiter gehen, wenn man von dem alten Kolonialprinzip ab rückt, welches die Welt in Nord und Süd oder Arm und Reich einteilt. Letztendlich versuchen die neuen Kolonialisten, die an der KI arbeiten und verdienen, den Rest der Menschheit zu kolonialisieren (siehe dazu auch Rezension von „The Coming Wave“ in dieser Ausgabe). Das ist aber nicht das Hauptthema hier. Das Nachwort finde ich sehr schön ausgedacht und niedergeschrieben, aber das wird eine verdammte Illusion bleiben, denn die Autorin hat vergessen das in ihrer Utopie sehr viele Menschen mitspielen die eben nicht das tun werden was sie beschreibt. Ich würde mir sehr wünschen das sie recht behält und ich unrecht. Denn inhaltlich bin ich natürlich voll auf ihrer Seite – aber man sollte von anderen Menschen nicht verlangen was man oftmals selbst nicht in der Lage ist zu leisten. Ich schweife mal wieder ab. Vom Informationsgehalt und Wichtigkeit klar zu empfehlen. Bis jetzt weißt du ob du das hier lesen musst oder eben nicht. 351 Seiten, Gebunden, 28,00 Euro (dolf)
Isbn 978-3406823022
[Trust # 232 Juni 2025]