April 10th, 2015

JELLO BIAFRA (#141, 04-2010)

Posted in interview by Jan

Als mich vor einiger Zeit ein Promoschreiben über die neue Band Jello Biafra and the Guantanamo School Of Medicine, deren anstehende Europatour und Interviewmöglichkeiten informierte, wusste ich zunächst nicht, ob ich darauf reagieren sollte. Jello Biafra hat mit den Dead Kennedys nicht nur Platten für die Ewigkeit aufgenommen, sondern ist seit 30 Jahren aktiv wie kaum ein zweiter: als Sänger in wegweisenden Bands und Kollaborationen, als politischer Aktivist, als Spoken Word Künstler, als Betreiber eines der ältesten Independent Labels Alternative Tentacles oder mit den nahezu unüberblickbaren Projekten, die diese Liste ewig fortsetzten ließen.

Mein persönliches Empfinden von Biafras Status wird in dem Interviewbuch „We owe you nothing“ des leider eingestellten Zines Punk Planet treffend dargestellt: im ersten Kapitel steht das Biafra Gespräch an zweiter Stelle, nach Ian McKaye und vor den Interviews mit Thurston Moore, Kathleen Hanna und Black Flag. Zusammen mit weiteren vormals schon in Erscheinung getretenen Musikern hat Biafra nun nach vielen Jahren Pause erstmals wieder eine neue Band gegründet, die vor Veröffentlichung ihrer ersten Platte zunächst auf Europatournee geht.

Obwohl ich seit weit über 10 Jahren auf Konzerte gehe, hatte ich den ehemaligen Sänger der Dead Kennedys jedoch niemals live auf der Bühne gesehen und wollte dies schleunigst nachholen. Natürlich dachte ich über ein Interview nach, aber was sollte ich Jello Biafra schon fragen? Zwar ist er über 30 Jahre übermäßig aktiv und ist somit eine Garantie für interessanten Gesprächsstoff, jedoch hat Jello Biafra ebenfalls zahlenmäßig Interviews gegeben, wie kaum ein anderer.

Da ich über die Jahre hinweg so viele gute Interviews mit Biafra gelesen hatte, zweifelte ich etwas Neues bringen zu können. Stattdessen folgte ich meinem Ruf als Fanziner und ließ mich mit dem Vorwand einer Fotoerlaubnis für das Konzert in Berlin akkreditieren. Das passte, denn wie ich später erfahren sollte, hatte nun Alva ein Interview für den vorherigen Tourtag in Köln angemeldet.

Einige Zeit später, am Freitag des Konzertes, erreichte mich vormittags während der Arbeit eine Email, dass das Interview mit Jello Biafra in Köln geplatzt sei und ob ich nicht stattdessen ein Interview führen könne, wenn ich eh auf die Show gehe. Es wurde hin- und hergemailt und es wurden Diskussionen geführt, ob man mit einer Person wie Biafra unvorbereitet und ohne die neue Veröffentlichung zu kennen ein Interview führen könne oder nicht.

Mein Standpunkt war die nicht-Position, gleichzeitig hatte ich aber weiterhin generell Interesse an dem Gespräch. Alle Versuche das Interview auf jemand anderen abzuschieben scheiterten, weshalb ich mich spontan entschloss Jan anzurufen um ihn zu fragen, ob er nicht Bock hat am Abend für aufs Biafra Konzert zu gehen und nebenbei mit mir gemeinsam ein Interview zu führen. Im Laufe des Tages brachten wir so getrennt einige spontane Gedanken zu Papier (ich notierte selbst während der Autofahrt zum SO36 am Steuer noch meine letzten Ideen), beim Treffen am Konzertort blieb uns nur wenig Zeit zum Zusammenzutragen der Ideen um gemeinsam notdürftig einen Interviewverlauf zu skizzieren.

Vor Ort erfuhren wir vom Tourmanager Olli, einem alten Bekannten, dass Biafra im Gegensatz zum Rest der Band noch nicht vor Ort sei, er nicht wisse, wann wir mit ihm rechnen können und dass Biafra auf Tour eigentlich gar keine Interviews gebe, nach der Show sowieso nicht. Zeit für uns, einerseits unsere Interviewskizze weiter zu verfeinern, aber andererseits auch daran zu zweifeln, ob das Interview tatsächlich stattfinden wird. Biafra traf erst kurz vor seinem Aufritt im SO36 ein, wir konnten noch beobachten, wie er von zahlreichen Fans umringt wurde, bevor er mit seiner Guantanamo School Of Medicine auf die Bühne ging.

Nach dem Konzert bekam ich von Olli die Handynummer und die Adresse des Hotels, in dem Biafra nächtigte. Wir sollten Biafra am folgenden Tag zwischen um 13:00 und 13:15 Uhr anrufen, einen Treffpunkt vereinbaren und das Interview dann hoffentlich mit ihm führen, allerdings muss er auch pünktlich um 14 Uhr wieder aus Berlin abfahren. Längere Interviews als 30 Minuten gebe er aber sowieso nicht.

Beste Voraussetzungen, aber was blieb Jan und mir anderes übrig, als uns am nächsten Tag in einem Friedrichshainer Plattenladen in der Nähe des Hotels erneut zu treffen, um nach dem geplanten Anruf nicht noch mehr Zeit zu verlieren?! Natürlich nutzen wir unsere Zeit vorher um weiter am Interviewplan herumzufeilen und erneut einges umzustellen. Zwischen 13:00 und 13:15 Uhr wählte ich mehrfach die besagte Nummer um jedes Mal festzustellen, dass Biafra nicht erreichbar war. Frustriert nach dem Stress fuhren wir wieder ohne Interview nach Hause.

Später erfuhr ich von Olli, dass Biafra im Hotelzimmer vergeblich auf unseren Anruf gewartet hat und als es zu spät war feststellte, dass sein Handy ausgeschaltet ist. Nächster Plan: ich soll mit George von Alternative Tentacles einen Termin für ein Telefoninterview ausmachen, wenn Biafra zurück in San Francisco ist.

Wochen später, mittlerweile liegt mir auch die Debütplatte „Audacity Of Hype“ der Band vor, telefoniere ich morgens um 11 Uhr von Berlin mit Jello Biafra in San Francisco, bei dem es bereits 2 Uhr in der Nacht ist. Das Gespräch beginnt beim Thema seiner neuen Band sehr stockend, kaum gibt es die Möglichkeit über Politik zu sprechen, ist Biafra nicht mehr zu bremsen.

***

Fangen wir bei Deiner neuen Band Jello Biafra and the Guantanamo School Of Medicine an. Der Sound auf Eurer ersten Veröffentlichung „Audacity Of Hype“ klingt für mich, wie die echten Dead Kennedys heute klingen könnten, durch die vielen kalifornischen Punkeinflüsse sehr traditionell, trotzdem aber sehr zeitgemäß. Hauptsächlich erweckt es jedoch den Eindruck, als würdet Ihr eine Menge Spaß an dieser Band haben?

Jello: (zögert) I guess… (lacht) Das war eine Aussage, keine Frage!

Am Ende stand aber ein Fragezeichen!

Jello: (zögert) Nächste Frage!

Ich habe Euch auf der gerade vergangenen Tour live gesehen. Was war der Grund zu dem Zeitpunkt eine Europatour zu spielen? Schließlich lag die Tour etwa sechs Wochen vor Veröffentlichung von „Audacity Of Hype“ und US Shows habt Ihr bisher auch kaum gespielt?

Jello: Wir hatten einfach Lust ein paar Shows zu spielen und dann hat uns unsere Bookingagentur einen Tourplan erstellt. Obwohl wir kein Album, keine Biographie oder Pressefotos hatten, haben wir einen guten Job gemacht!

War es sowas wie eine Generalprobe bevor das Album in die Läden kommt?

Jello: (zögert) Nein, das waren echte Konzerte.

Über die Europatour habe ich ein paar verwunderliche Dinge gehört. Deine Band ist mit einem Nightliner unterwegs gewesen, während Du dagegen die gesamte Strecke allein mit dem Zug gefahren bist und Dir in jedem Ort ein Hotel zur Übernachtung genommen hast?

Jello: Mein Problem ist, dass ich nicht in fahrenden Fahrzeugen schlafen kann. Ich konnte es noch niemals, nichtmal als ich noch ein Baby war. Es ist ein großes Ärgernis, aber es lässt sich nicht ändern.

Das heißt alle Deine Touren in den letzten 20 oder 30 Jahren liefen so ab?

Jello: In den letzten Jahren habe ich fast ausschließlich Spoken Word Touren gemacht, also gab es nur mich im Zug und sonst niemanden. In Amerika dagegen bin ich mit dem Flugzeug unterwegs, was teurer und noch schlimmer ist, da Amerika über kein geeignetes Bahnnetz verfügt. Es gab mal eins, bis Menschen auf die kluge Idee kamen es an private Konzerne abzugeben, die es schlecht nutzen um mehr Autos, Reifen und Benzin verkaufen zu können.

Das ist zu einem schrecklichen Problem geworden. Die Zugtechnologien in Europa werden immer besser, es gibt Hochgeschwindigkeitszüge in Frankreich, Spanien und Deutschland. Amerika dagegen hat nichts vergleichbares. Deshalb wurde nun endlich ein Gesetz verabschiedet, dass die Errichtung eines Hochgeschwindigkeitszuges zwischen San Francisco und Los Angeles vorschreibt, welcher jedoch nicht vor 2020 fertiggestellt sein wird. Es wäre schön noch mit einem geeigneten Zug durch Amerika reisen zu können, bevor ich sterbe, doch darauf zähle ich nicht!

Aber in Amerika sind die Distanzen so hoch, dass das Fliegen allein aus Zeitgründen schon Sinn macht?

Jello: Nein, nicht zwingend. Der besagte Zug wird innerhalb von zwei Stunden nach Los Angeles fahren, mit dem Flugzeug würde es länger dauern. Natürlich beträgt die reine Flugzeit nur eine Stunde, aber der Weg zum Flughafen beträgt 30-60 Minuten, man muss sein Gepäck einchecken und dann muss man sich in eine lange Schlange einreihen und sich durchsuchen lassen, um sicherzustellen, dass man kein Terrorist ist.

Du kommst ins Flugzeug und wirst so in die Luft geschossen, dass Du Dich fragst, ob der Pilot ein Terrorist ist. Nach dem Landen wartest und wartest Du auf Dein Gepäck, bevor Du auf der Straße in den nächsten Stau gelangst über die Du von Flughafen zur Stadt fährst. Ich bevorzuge Züge, da muss ich nur auf den Bahnsteig gehen und kann abfahren. Man kann im Zug umherlaufen, aus dem Fenster sehen oder sich einfach betrinken.

Als ich Euch in Berlin live gesehen habe, war ich verwundert, dass Ihr auch drei alte Dead Kennedys Klassiker gespielt habt. Nach dem Gerichtsstreit mit Deinen ehemaligen Bandkollegen hätte ich nicht damit gerechnet.

Jello: Ja, allerdings bin ich wegen meiner Bandkollegen beschämt, nicht wegen der Songs! Das ist ein wenig das Zurückgewinnen guter Musik von kooperierenden Piraten. Trotzdem war es mir wichtig, dass die Leute verstehen, dass wir nicht auf Retrotour waren. Hauptsächlich haben wir neue Songs gespielt, es ging nicht um einen alten Mann, der wieder die gleichen alten Lieder gespielt hat.

Es macht immer noch Spaß, aber ich schreibe auch gerne neue Musik. Es hat mich sehr glücklich gestimmt, dass das Publikum auch von unseren neuen Songs begeistert war – vor allem in Deutschland. Natürlich sind sie zu den Dead Kennedys Songs richtig abgegangen, aber davon haben wir nur 3-6 am Abend gespielt, der Rest des Sets bestand aus neuen Songs.

Was sind denn eigentlich die Ziele mit Jello Biafra and the Guantanamo School of Medicine? Du hast in Deinem Leben schon einiges erreicht: Du warst der Sänger einer legendären Band, hast viele große Konzerte gespielt, Du warst Teil des Battles Of Seattle, hattest viele Kollaborationen mit interessanten Musikern usw. Was bleibt da Neues für die neue Band?

Jello: Also… an neuen Orten spielen, neue Songs proben und aufnehmen, eben das machen, was Bands machen. (zögert) Und hoffentlich inspirieren wir unser Publikum das kapitalistische System vollständig zu zerstören (lacht) oder zumindest das System von den profitorientierten Diktatoren zu befreien, welche das System gekidnappt haben und es zu einer Feudalherrschaft gemacht haben.

Sprich Du hast die gleichen Ziele, wie mit den vorherigen Bands?

Jello: Es ist ähnlich, bisher haben wir es nie geschafft unser Publikum inspirieren, die Straße herunterzulaufen und eine Bank niederzubrennen. Aber wir haben es probiert!

In einem alten TRUST Fanzine gab es ein Interview mit Dir, welches Du in San Francisco Backstage auf einer Monomen Show 1997 gegeben hast. Du beklagtest, dass es beim Punk damals nur noch um Gruppenzugehörigkeit ging und nicht mehr darum Gesetze zu brechen. Wie sieht es heute aus? Ist es noch schlimmer geworden oder gibt es wieder Hoffnung?

Jello: Meiner Meinung nach ist es in manchen Gebieten noch schlimmer geworden. Von Bands erwartet man einen bestimmten Sound zu spielen. Es geht um Stereotype und Genres, die den Bands aufgezwungen werden. Man muss Poppunk, Horror Punk, Death Metal, Grindcore oder dies oder jenes sein, wobei ich niemals zu einem davon gehörte.

Ich mag Punk immer noch, wenn er frisch klingt und die Musiker neue Ideen haben oder sie wenigstens eine sehr gut umgesetzte Version von dem spielen, was sie spielen wollen. Auf 100 gewöhnliche Hardcorebands kommt immer eine, die sehr gut ist und Dich daran erinnert, was Dich an Hardcore anfangs so begeistert hat. Das Gleiche gilt auch für die anderen Punk Subgenres. Es gibt nur einmal Turbonegro, aber 200 weitere genauso klingende, die dabei aber nicht gut sind.

Es gibt allerdings keine Beispiele von Bands, die die Dead Kennedys kopiert haben!

Jello: Und darauf bin ich verdammt stolz: keine Band hat jemals die Dead Kennedys geklont! Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass wir unseren Sound im Laufe der Zeit stets verändert haben und keine zwei Alben gleich klangen. Das gilt auch für Lard und meine jetzige Band. Manche Menschen mögen „Fresh Fruit for Rotting Vegetables“ lieber, andere bevorzugen „In God We Trust“ usw.

Kennst Du die ostdeutsche Band die Skeptiker?

Jello: (auf deutsch) Ja!

Eugen Balanskat von den Skeptikern ist der einzige Sänger, der mir einfällt, der den Gesang von Jello Biafra imitiert.

Jello: Redest Du über die aktuellen Skeptiker oder redest Du von deren ersten Single, die sie damals zu DDR-Zeiten auf dem kommunistischen Label Amiga veröffentlicht haben?

Ihre erste Single kenne ich leider nicht.

Jello: Ich glaube, ich habe nach dem Fall der Mauer nur ein oder zwei ihrer Alben gehört und war schockiert, wie schnell manche Punkbands aus den alten kommunistischen Ländern, die einen eigenen Stil hatten, plötzlich über Nacht wie deutsche, englische oder amerikanische Bands klangen. Die allererste Skeptiker 7“ EP ist sehr eigen, ich kenne keine andere ähnliche Veröffentlichung, es ist Midtempo-Punk mit Bluesgitarrensolos über allem. Es gab einen betonten Balkanfolkeinfluss bei manchen der frühen Bands aus dem früheren Jugoslawien, der Ukraine, Estland oder sogar Russland, der dann schnell verschwand.

Heute gibt es wieder einige Menschen, die sich dem traditionellen Sound erneut angenähert haben und ihn um die Energie des Punks erweitert haben. Das bekannteste Beispiel hier ist Gogol Bordello, die zwar in New York City ansässig sind, aber ihr Frontmann kommt aus der Ukraine und lebt in Brasilien. Dann gibt es eine weitere Band namens Kultur Shock aus Seattle, deren Sänger aus Bosnien kommt, weitere Mitglieder aus Bulgarien und ihr Bassist aus Japan. Sie nutzen härtere Gitarren als Gogol Bordello. Billy Gould, der erste Bassspieler in meiner neuen Band, hat sie auf seinem Label veröffentlicht.

Vor ein paar Jahren habe ich eine Band namens Slonovski Bal in Prag live gesehen, die traditionellen Balkanfolk völlig frei von Punk gespielt haben, aber Ihre Energie war einfach wahnsinnig. Die Menschen haben getanzt als wären sie auf einem Punkkonzert. Sie haben unglaublich intensiv gespielt und es war das einzige Mal, dass ich einen Virtuosen am Akkordeon erlebt habe.

Zurück zu dem Berlin Konzert. Wir haben gesehen, dass Leute im Publikum Dich nach Autogrammen gefragt haben. Erst dachten wir „oh, dass ist Punk 2009“, später haben wir uns gefragt, ob es nicht in den 80ern genauso war, nur heute niemand mehr darüber spricht?

Jello: Was stört Dich daran? Ich erinnere mich, wie viel es mir bedeutet hat, als mir die Ramones meine LP 1977 signierten. Ich war ein pickeliger Teenager mit langen Hippiehaaren. Ich war ein Niemand, aber sie sprachen mit mir und signierten mir meine LP. Damals war die Distanz zwischen Band und dem Publikum so groß, mit einem Rockmusiker zu sprechen war etwas außergewöhnliches. Wenn es jemand anderem genauso viel bedeutet, warum sollte ich es nicht tun? Albern ist es nur, wenn mir Leute Emails schreiben, ob ich ihnen ein Autogramm schicke.

Ein Autogramm verdeutlicht aber erst den hierarchischen Abstand zwischen Star und Fan, den Punkrock abschaffen wollte mit seiner Idee, dass alle gleichbedeutend sind.

Jello: Ja, aber manche sehen das halt gerade andersherum. Ich will das aber auch gar nicht akademisch analysieren, ich sehe nichts schlimmes darin, Autogramme zu geben, wenn ich anderen damit eine Freude mache. Manchmal bekomme ich sogar Autogramme von jemand anderem. Ich besitze die Original LPs aus den 50ern und 60ern von Link Wray. Er spielte in San Francisco und ich konnte ihn dazu bringen meine LPs zu signieren. Zwei Wochen später ist er gestorben.

Manchmal ist es auch lustig falsche Autogramme zu bekommen: ich war in einer großen amerikanischen TV Talkshow von Phil Donahue mit einer Debatte über Musikzensur. Luther Campbell von 2 Life Crew war ebenfalls anwesend, nach der Show habe ich Phil Donahue dazu gebracht ein 2 Life Crew Album für mich zu signieren. Vor dem Hintergrund, dass 2 Life Crew damals als die obszönste HipHop Gruppe der Welt galten, fand ich das sehr lustig. Manchmal bitten mich Menschen ihren Wehrpass oder Ähnliches zu signieren.

Das Artwork der Jello Biafra and the Guantanamo School of Medicine „Audacity of Hype“ Veröffentlichung wurde von Shepard Fairley gestaltet, der ebenfalls für das bekannte „Hope“ Motiv der Obama Kampagne verantwortlich ist. Die beiden Motive ähneln sich stark, das ist kein Zufall, oder? Auch ist der Plattentitel eine Anspielung auf Obamas „Audacity Of Hope“ Buch, welches im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielte. Gleichzeitig ruft Eurer Song „I won’t give up“ dazu auf, sich nicht auf die Politik zu verlassen und Dinge stattdessen selbst in die Hand zu nehmen?

Jello: Shepard Fairley hat sowohl das Hope Design gemacht, genauso wie das Bild von mir auf unserem Cover, welches einen Joke aus seinem eigenen Poster gemacht hat. Ich fand die Idee cool und habe ihn angerufen um zu fragen, ob es für Ihn okay ist, wenn ich sein bekanntes Plakat verarsche. Er hat geantwortet, dass er es nicht von einem anderen Künstler machen lassen möchte, sondern dass er es selber übernimmt, es war ihm wohl eine Ehre. Das Cover ist also kein Zufall, sondern will die „Audacity Of Hope“ Kampagne von Obama auf die Schippe nehmen.

Leider verlieren die Menschen jeden Tag mehr ihre Hoffnung in Obama, seitdem er immer mehr Soldaten nach Afghanistan schickt, seine Pläne für ein besseres Gesundheitssystem für Amerika zurücksteckt, welches sein großes Kampagnenversprechen war und sich auf die Kriminellen der Bankindustrie einlässt, die die Finanzkrise verursachten. Die Aussage von dem Song ist einfach sich nicht auf jemanden wie Obama zu verlassen, dass er die Dinge verändert, sondern dass man die Dinge selbst von Grund auf verändern muss. Nur weil wir nicht alles bekommen, sollten wir nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen. Abseits davon ist das nicht nur notwendig, sondern macht auch noch verdammt viel Spaß!

Wie stehst Du zu den aktuellen Diskussionen um Obama und dem Friedensnobelpreis?

Jello: Vielleicht ist es ein vorbedachter Versuch des Komitees des Preises die Nachricht an Obama zu schicken, es nicht zu wagen den Krieg in Afghanistan weiter eskalieren zu lassen: „Nun hast Du den Friedensnobelpreis um den Hals hängen und solltest damit besser nicht zum Kriegsführer werden!“. Ich halte es für einen großartigen Weg Druck auf ihn auszuüben, der Preis war schon immer sehr politisierend. In dem Jahr als sie ihn an Jimmy Carter verliehen haben, war es vor allem wegen der Bush Regierung, die ihm so viel Shit gegeben hat, weil er gegen ihre Kriegspolitik gehalten hat. Die einfache Nachricht war „wir kämpfen mit Carter, nicht mit Bush!“

Der Song „Three Strikes“ von der „Audacity Of Hype“ Platte ist ein weiterer Song über die amerikanische Politik. Warum hat die Politik ein Interesse daran, möglichst viele Menschen in den Gefängnissen sitzen zu haben?

Jello: Der Grund ist der Profit! Die amerikanischen Gefängnisse sind nicht im Besitz der Regierung, sondern wurden privatisiert. Natürlich werden die Insassen von der Regierung verurteilt, aber sie betreiben die Gefängnisse nicht selbst, sondern bezahlen private Unternehmen dafür. Die Besitzer bekommen Geld von der Regierung um das Gefängnis zu betreiben, sie betreiben die Gefängnisse schlecht um mehr von dem Geld behalten zu können. Du hast sicher schon etwas von dem militärisch-industriellen Komplex gehört.

Früher hatte Amerika einen militärisch-industriellen Komplex, jetzt hat Amerika auch einen Gefängnis-Industrie Komplex. Leider musste ich auf unserer Tour in England zu meinem Entsetzen feststellen, dass es dort das gleiche Problem gibt. In Amerika nutzen die privaten Gefängniskonzerne ihr verdientes Geld, um Einfluss auf die Politik auszuüben und schalten sogar TV Werbespots um Wähler zugunsten immer schärfer Gesetzen zu beeinflussen, um so noch mehr Profit zu machen. Die Gefangenen verweilen immer länger im Gefängnis für harmlose Verbrechen. In Kalifornien gibt es sogar eine Person, die lebenslang im Gefängnis sitzt weil sie in Bezug auf ihre Führerscheinprüfung gelogen hat.

Das war in Amerika aber nicht schon immer so?

Jello: Es fing in der Reagan Ära an, bevor er Präsident wurde, saßen deutlich weniger Menschen im Knast. Jetzt sind vier- bis fünf-, vielleicht sogar zehnmal so viele, ich kenne die Zahlen nicht genau. Ich weiß aber, dass wir mehr Gefangene haben als jedes andere Land in der Geschichte der Welt, selbst China hat weniger Menschen im Gefängnis sitzen und das beunruhigt mich sehr.

Es ist eine Zeitbombe, die meisten Gefangenen sind Afroamerikaner, Latinos und Arme, die aufgrund von Drogendelikten ins Gefängnis geworfen wurden, als sie noch sehr jung waren. Wenn sie mit über 30 wieder frei kommen, haben sie keine Ahnung, wie sie einen Job finden sollen. Sie enden als Obdachlose auf den Straßen, betteln und landen wieder bei den Drogen. Vielleicht müssen sie jemanden berauben, weil es keine andere Möglichkeit gibt Geld zu verdienen – dann kommen sie zurück in den Knast.

Unternimmt Obama denn etwas dagegen?

Jello: Nichts! Sie haben Andeutungen gemacht, die Drogengesetze ein wenig anpassen zu wollen. Denn Menschen gehen für Crack sehr viel länger ins Gefängnis als für Kokain. Denn die meisten koksenden Menschen sind weiß, wogegen die meisten Menschen, die Crack rauchen, Afroamerikaner sind.

Wird das Problem denn in der Gesellschaft thematisiert?

Jello: Nahezu nie. Die meisten Menschen aus Deutschland realisieren nicht, wie sinnbefreit die amerikanischen Massenmedien sind. Es gibt absolut nichts vergleichbares zum Spiegel, was die Menschen hier lesen können. Es gibt allenfalls underground Politikmagazine, die nur Menschen wie ich kennen. Die Mainstreammedien haben keine wirklichen Themen und bringen sehr konservative Schlagzeilen. Die Medien sind einfach aufgebaut, es gibt zum Beispiel immer nur zwei oder drei große Stories in der Time.

Warum soll man über zu viele Menschen wegen Drogendelikten in Gefängnissen sprechen, wenn man sechs Monate lang über den Tod von Michael Jackson berichten kann? Außerdem wird sogar jetzt noch Personen wie Sarah Palin viel mehr Berichterstattung geboten, als man sollte. Immer wenn sie, Dick Cheney oder Newt Gingrich etwas sagen, dann ist es überall in den News, aber wenn Obama etwas sagt – ja selbst bei Obama – findet es nicht immer Erwähnung in den Nachrichten. Entweder sind die Meldungen konservativ oder es geht um riesigen Schwachsinn der Prominenten. Amerikaner haben heute mehr Zugang zu Informationen als jemals zuvor, wir werden mit mehr Informationen bombardiert als je zuvor, aber der Großteil davon ist nutzlos.

Sie lenken das Volk und lassen es verdummen ähnlich wie die Propagandamaschine der alten Sowjetischen Union. Da haben sie die Menschen kontrolliert, indem sie ihnen nicht genügend Informationen gegeben haben. Die Menschen in Amerika bekommen gewissermaßen noch weniger Informationen, weil das meiste nutzlos ist. Sie wissen nicht einmal, wo sie die richtigen Informationen suchen sollen. Selbst die amerikanische Version von CNN ist viel leerer als die europäische Version.

In Deutschland gibt es aber durchaus auch noch ähnliche Informationsquellen wie den Spiegel.

Jello: Die Boulevardzeitung Bild gibt es doch auch noch?

Na klar.

Jello: Das ist ein gutes Beispiel, denn das amerikanische CNN ist eher mit der Bildzeitung zu vergleichen und Fox News, welches noch populärer ist, ist noch schlimmer. Selbst auf CNN ist jede Nacht ein Mann namens Lou Dobbs auf Sendung mit der Bestimmung den Business Report zu liefern, tatsächlich werden am laufenden Band Immigranten kritisiert. Wie schrecklich es sei, dass Mexico sich über die Vereinigten Staaten ausbreitet, dass die Mexikaner eine Plage seien, die nun hier Bürger sind und dafür wählen, dass sich die westlichen Staaten der USA wieder an Mexiko anschließen.

Crazy shit like that! Dobbs hat diese Aussagen niemals selbst gemacht, aber er hat einen „Expert on Immigration“ nach dem anderen in seiner Show, der diese Dinge von sich gibt und Dobbs widerspricht dabei niemals! Natürlich hat er niemals jemanden von der anderen Seite auf Sendung, das ist eine weitere Art wie amerikanischen Medien arbeiten. Immer ist dieser konservative Scheiß präsent, aber niemandem ist es erlaubt ihnen auf Sendung zu antworten.

Die Bildzeitung ist die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands.

Jello: Das wusste ich nicht. Dann habt Ihr ähnliche Probleme, aber wenigstens habt Ihr Alternativen. Als ich in London im Zug war, habe ich mich umgesehen und bemerkt wie viele Menschen dort saßen, sogar Afroamerikaner und junge Menschen, die hip aussahen und Zeitungen wie die Sun oder Daily Mail gelesen haben, die mindestens genauso schlimm wie die Bild sind. Und wie in Deutschland ist Sun die populärste Zeitung in England. Das Schlimme ist, dass die Menschen das Gelesene glauben, dann hinausgehen und wählen.

Heraus kommen dann Menschen wie Bush oder Palin, von der ich übrigens nicht glaube, dass sie schon von der Bildfläche verschwunden ist, auch wenn manche das sagen. Richard Nixon drehte 1962 vor den TV Kameras durch [nach den verlorenen Gouverneurswahlen in Kalifornien gab Nixon auf seiner „letzten“ Pressekonferenz seinen Ausstieg aus der Politik bekannt und beschimpfte Journalisten; Anm. der Verfasser] und sechs Jahre später war er Präsident. Ronald Reagan hatte die Medien nicht mehr hinter sich stehen bis sie sich 1980 entschieden haben den Ton zu verändern und Ihn nur noch strahlend darzustellen, wodurch sie ihm das Aussehen eines großartigen Mannes verpasst haben.

Wie sieht es mit Deiner eigenen politischen Karriere aus? Wikipedia nennt Dich schon als potentiellen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2012…

Jello: (unterbricht) What?!?! Das wusste ich nicht, ich schenke Wikipedia auch keine Aufmerksamkeit und niemals würde ich darauf als seriöse Nachrichtenquelle zugreifen. Wir können uns bei diesen Quellen nicht verlassen, dass sie die Wahrheit sagen. Wenn alle Amerikaner wählen könnten, was wahr ist, dann wäre die Bibel wahr! Wirklich, es glauben nicht nur Bush und Sarah Palin, dass jedes Wort der Bibel stimmt. Der Großteil der Amerikaner sieht sich selbst als wiedergeborene Christen.

… Gibt es nach dem Versuch 2000 ernsthafte Überlegungen für eine erneute Präsidentschaftskandidatur??

Jello: Nein! Es mag passieren, es mag nicht passieren… vielleicht entscheide ich mich ja doch irgendwann? Die 2000er Präsidentschaftskampagne war ja auch keine wirkliche Kampagne. Es gab ein paar Leute in der New Yorker Grünen Partei, die mich als Präsident nominiert haben. Ich kam direkt nach Ralph Nader und sie haben mich gefragt, ob ich da mitmache. Sie wussten nichtmal, ob ich Mitglied der grünen Partei bin oder nicht.

Leider war es zur gleichen Zeit wie der Gerichtsstreit mit den gierigen ehemaligen Dead Kennedys Mitgliedern, der damals meine gesamte Zeit verschwendete. Ich musste gegen sie kämpfen und hatte selber nicht viel Zeit für die Präsidentschaftskampagne. Ich habe meinen Namen für die Kampagne nutzen lassen, weiterhin habe ich ein paar Sachen ins Internet gebracht und Statements abgegeben. Ich hatte die Hoffnung Menschen zu inspirieren, die für die gleichen Dinge einstehen, ihren Arsch hochzubekommen und Ralph Nader sowie die Grüne Partei zu unterstützen und natürlich zu wählen.

Du bist ein vielbeschäftigter Mensch, Du machst Musik, Spoken Word Auftritte, schauspielerst, Du engagierst Dich politisch und betreibst mit Alternative Tentacles eines der ältesten Independent Labels. Wie schaffst Du es in Deiner Zeit zu so viel auf die Reihe zu bekommen? Oder schaffst Du es nicht?

Jello: (lacht) Ich habe gar keine Zeit für das alles. Jetzt gerade kümmere ich mich um die Band und werde deshalb keine Spoken Word Sachen machen. Es wäre toll, wenn ich eine neue Spoken Word Veröffentlichung zu einem bestimmten Ereignis bringen könnte, aber es benötigt sehr viel Zeit eine gute zusammenzustellen. Jetzt möchte ich ein oder zwei Jahre abwarten, wie sich die Dinge um Obama entwickeln um mir dann zu überlegen, was ich dazu zu sagen habe und wie ich es rüberbringen möchte.

Du bist Dir also unsicher, wie Du zu Obama stehst?

Jello: Ich habe nicht viel erwartet und ich habe die Menschen gewarnt zu viel zu erwarten, damit ich am Ende nicht zu sehr enttäuscht werde. Jedenfalls will jetzt niemand Geld dafür ausgeben Jello Biafra auf Obama rumhacken zu hören. Außerdem habe ich ja derzeit auch eine großartige Band (lacht).

Im Laufe der Zeit werden die Menschen aber anfangen Fragen zu stellen und wollen neue Ideen. Was meine Ideen letztendlich sein werden, dass weiß ich heute noch nicht. „I won’t give up“ ist eine grundsätzliche Antwort. Es ist auch keine echte Antwort aber ein Anfang, eine verkürzte Version von dem, was ich gewöhnlich am Ende meiner Spoken Word Shows sage…

***

Jello Biafra and the Guantanamo School Of Medicine „Audacity Of Hype“ LP/CD ist am 22.Oktober 2009 auf Alternative Tentacles erschienen.

 

Einleitung: Benjamin Schlüter
Interview: Jan Tölva / Benjamin Schlüter

 

Links (2015):
Wikipedia
Alternative Tentacles Records
Discogs

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0