Oktober 21st, 2015

GUZZARD (#53, 08-1995)

Posted in interview by Jan

Laut dem Titel ihres zweiten Albums sind die AmRep Punkrocker GUZZARD „quick, fast, in a hurry“. Tatsächlich waren sie mir Ende April auch schon entwischt, als sie in Nürnberg spielten. Nur unter Einsatz von ICE-Technik gelang es dann doch noch, die drei Jungs zu lokalisieren: An einem Samstagabend im Bremer Wehrschloß, zusammen mit den köstlichen Country Teasers und den Oblivions, die ich leider gesprächsbedingt diesmal nicht sehen konnte. GUZZARD haben sich mit ihren beiden Alben, aber viel mehr noch mit ihren Auftritten während der Clusterfuck-Tour eine überzeugte Fan-gemeinde eingespielt. Das Konzert in Bremen zeigte aber auch, daß diese Gemeinde (noch) recht klein ist: Sogar ich als Nicht-Bremer kannte die meisten Leute in den ersten Reihe persönlich. Die, die da waren, wußten warum und waren sich auch ziemlich einig darin: GUZZARD sind verdammt gute Musiker, die einen unkomplizierten Sound so druckvoll aufblasen können, daß man sein Blut kochen fühlt. Wahrscheinlich bedarf es einer speziellen Sensibilität um auf diese ‚tighte‘ Spielweise abzufahren, denn besonders den Studioproduktionen der Band wird gerne der Vorwurf gemacht, etwas ‚einfallslos‘ zu sein. Erst beim Livekonzert hat die Band dann die Chance, den Spruch auf überzeugende Weise zu beenden: ‚…aber laut!‘

Tom Beeman ist Songwriter, Gitarrist, Sänger und Bruder vom Schlagzeuger Pete. Er redet langsam und überlegt, läßt sich Zeit für seine Antworten. Manchmal zu lange, denn da ist D.P.: Bassist, Wirbelwind und Meinungsmonopolist der Band, der manchmal nicht mal Zeit hat, die Frage anzuhören. (D.P. wurde mir vorgestellt als der Mischer der Band und diesen kleinen Joke haben die Jungs auch bis zum Schluß nicht aufgeklärt, weshalb ich natürlich einigermaßen verwundert war, ihn soviel reden zu hören und erst recht, ihn dann doch auf der Bühne stehen zu sehen. Amerikanischer Humor? Naja, ich hatte ja keine Chance, da ich die Band nur vor zwei Jahren Mal flüchtig gesehen hatte.) Unser Gespräch war dementsprechend sprunghaft und ausufernd, gerade weil wir uns über sehr allgemeine Dinge unterhielten. GUZZARD waren die ersten Amis, die ich nach diesem Bombenanschlag in Oklahoma sprach, und ich wollte wissen, was sie darüber denken.

Tom: Ich war nicht überrascht. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center mußte es wieder so etwas geben. Überall auf der Welt gibt es Terrorismus, warum nicht auch in Amerika.

Was hältst du denn von diesen Vermutungen, daß die Täter Faschisten waren?

Tom: Gut möglich. Davon gibt es genug bei uns. Der Ku-Klux-Klan…

Jaja, aber was weißt du über diese neueren Organisationen? Der Ku-Klux-Klan ist doch ein Traditionsverein.

Tom: Die anderen Organisationen sind das im Endeffekt auch. Die Werte sind immer die selben, es geht um weißen Rassismus, ums Waffentragen, um Ausländerfeindlichkeit.

Pete: Diese Vereine sind nicht neu, es wurde nur nie über sie berichtet. Besonders der Süden ist total rassistisch.

Die Massenmedien haben den Anschlag so interpretiert, daß mit Oklahoma das ‚Heartland‘ der USA getroffen werden sollte. Hätten die Täter dafür auch eure Heimatstadt Minneapolis auswählen können?

Tom: Ja, warum nicht. Das ist auch eine ganz normale Stadt. Allerdings leben in Oklahoma noch mehr Weiße. Minneapolis ist klein, eine Viertelmillion etwa. Aber mit St. Paul und anderen Städten in der direkten Nachbarschaft kommen wir auf etwa drei Millionen. Es ist völlig durchschnittlich, mehrheitlich Weiße…

Pete: Glaub‘ ich nicht. Bei uns leben viele andere Rassen, die Weißen sind eine Minder-heit.

Es schließt sich an dieser Stelle erst mal eine längere Diskussion an, ob die Weißen in den USA überhaupt noch die Bevölkerungsmehrheit stellen. Wir stellen fest, daß wir alle keine Ahnung haben. Da uns die Jungs offenbar auch nicht mit detaillierteren Informationen über (Neo-)Faschismus in den USA versorgen können als die, die uns die Massenmedien aufbereiten, fangen wir langsam an, über Musik zu quatschen.

Trust: Seid ihr eigentlich Christen oder kommt ihr aus christlichen Familien? Der Song ‚Steeples‘ ist ein Christen-Haß-Lied. (‚Hit ´em below the bible belt‘)

Tom: (lacht) Nein, wir sind keine Christen, aber Christen kann man gut hassen. Diese Fernseh-prediger und Sektengründer sind so dumm, da kann man einfach schön das Hategun draufhalten.

Okay, was bedeutet ‚Sixed‘ (Ein weiterer Songtitel)?

Pete: Das Wort ‚Sixed‘ kommt von der Zahl ‚Six‘, ganz klar ist der Zusammenhang aber nicht. Es bedeutet, jemanden total zu verar-schen, einen Streich zu spielen, oder auch etwas unsanft mit seiner Wohungseinrichtung umzugehen. Ein weiteres Lied über das ’sich-Scheiße-fühlen‘.

In ‚Level 4‘ ist das Feindbild dann endlich klar…

Tom: Ich saß morgens mit einem Freund in einem Café in der Innenstadt von Minneapolis. In der Stadt sind alle großen Gebäude durch überdachte Brücken miteinander verbunden, sehr futuristisch. Wir saßen einfach da und haben den Leuten zugesehen, die ganzen kleinen Angestellten mit ihren Anzügen und Aktenkoffern, die sich alle wahnsinnig wichtig nehmen und immer in Eile sind, obwohl sie vielleicht nur einen ganz kleinen Posten in irgendeiner Firma haben. Die Leute beim Einkaufen, die genauso hektisch ihr Geld ausgeben, so wie sie es vorher verdient haben. Jeder nimmt sich so wichtig und keiner merkt wie krank das alles ist.

‚Death Race 2000‘ ist dann wieder eine persönliche Geschichte?

Tom: Ja, ich hatte einen Bekannten, der eigentlich auch ein Freund hätte sein können. Durch irgendeine Sinnlosigkeit ist er dafür zu früh gestorben und was bei mir zurückbleibt ist ein leeres Gefühl, daß ich auch früher schon auf ihn hätte zugehen können. Eine verpaßte Gelegenheit, durch die alles in Frage gestellt wird.

D.P. und Pete kommen wieder dazu und es beginnt eine lange und lebhafte Diskussion über das ‚Feindbild‘ Majorlabel – zu lebhaft, als daß ich sie hier komplett wiedergeben könnte. D.P. meinte, er hätte nichts gegen große Firmen, die Leute wären ja auch musikbegeistert… zumindest die A & R-Manager, also die, mit denen die ‚Künstler‘ direkten Kontakt haben. Und schließlich wollen die ja auch von ‚irgendwas‘ leben. Er meinte auch, man solle sich doch nicht so über den Erfolg von Bands wie Nirvana und Green Day aufregen – schließlich sei deren Musik ‚trotzdem‘ gut, und daß es immer irgendwelche Megarockstars geben müsse sei ja auch normal: ‚that’s business‘. Über die Zwei-Wochen-Midwest-Tour mit Babes in Toyland gab’s weiter nichts Ungewöhnliches zu erzählen, außer daß sie sich mit den Babes gut verstanden hätten, daß auf dieser Tour der Titel des neuen Albums entstanden wäre (Tom: ‚Es hat nichts mit der Musik zu tun, die kam erst hinterher‘) und daß sie für diesen Sommer wieder gerne als Support für eine größere Band untergekommen wären, was leider nicht geklappt hätte.

Soweit so gut, ich lasse das Obenstehende mal unkommentiert. Die Jungs waren an dem Abend nicht so gut drauf und innerlich ziemlich aufgekratzt weil es ihrer sehr geschätzten Tourmanagerin schlecht ging und weiß ich was. Im Durchschnitt sollen so rund hundert Leute auf die Konzerte gekommen sein, im Wehrschloß waren es trotz Country Teasers und Oblivions im Programm deutlich weniger. Gespielt haben sie trotzdem mit vollem Einsatz und die musikalische Weiterentwicklung seit der Clusterfuck-Tour war ganz klar zu hören – mehr Druck vom Bass, intelligente und fast psychodelische Feedback/Solo-Gitarrenparts und eine wesentlich filigraneres Schlagzeugspiel. Ich glaube, wir können auf den nächsten Output gespannt sein.

Interview/Text/Fotos: Kai Piranha


Links (2015):
Guzzard auf Discogs
Guzzard auf Facebook
… aber warum gibt es keinen Wikipedia-Artikel?

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